„Mit meinem Kind veränderte sich mein Leben erstmal zum Negativen“

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Foto: Katja Hentschel

Ihr Lieben, Judith Schunk empfand nach der Geburt ihres ersten Kindes nicht gleich die große Mutterliebe. Sie fühlte sich ziemlich allein mit ihren Gefühlen, dabei betrifft das gar nicht so wenige. Heute hilft Judith Frauen, die ebenfalls mit ihrer Mutterrolle hadern.

Liebe Judith, #regrettingmotherhood ist das Thema deines Lebens. Wie kam es dazu? 

Meine Tochter zu bekommen hat mein Leben komplett verändert – zuerst zum Negativen. Ich wurde sehr krank, verbrachte viele Monaten im Krankenhaus. Ich musste meine Schauspiel-Ausbildung abbrechen und den Wohnort wechseln. Als es mir körperlich besser ging, blieb das Gefühl, durch die Mutterschaft mehr verloren als gewonnen zu haben.

Zeit alleine mit meinem Kind zu verbringen fiel mir sehr schwer, ich trauerte meinem alten, freien Leben schmerzlich hinterher – es war ein unaushaltbarer Zustand. Also begann ich nach den Ursachen zu graben: Warum die Bedürftigkeit meines Kindes mich so triggerte, warum ich seit der Schwangerschaft so schlimme Hautausschläge hatte.

Ich ging in Therapie – und ließ mich selbst in energetischen Heilmethoden ausbilden. Lage für Lage habe ich meine eigene Geschichte verstanden, alte Wunden entdeckt und aufgelöst. Es wurde immer leichter und entspannter mit meinem Kind. Endlich fing ich an, Leichtigkeit zu empfinden, Selbstliebe und den glühenden Wunsch, selbst zu gestalten. 

Auf meiner Reise war ich alleine. Es gab keinen Austausch mit Frauen, denen es ähnlich ging wie mir. Das ist jetzt anders: Unter #regrettingmotherhood haben wir eine großartige Möglichkeit, aufrichtig über die Schattenseiten des Mutterseins zu sprechen – und sie zu verändern. 

Du begleitest Frauen, die mit ihrer Mutterschaft hadern. Wie sieht das in der Praxis aus, wie können wir uns das vorstellen?

Die Müttercoaching-Sitzungen bei mir gehen über 60 bis 90 Minuten, on- oder offline. Jede Sitzung beginnt mit einem Check-In, bei dem ich die Klientin erzählt, wie es ihr geht, was sie gerade beschäftigt. Daraus entsteht ganz organisch das Thema der jeweiligen Sitzung. In einem Gesprächskontext finden wir gemeinsam heraus, wo der Ursprung des zugrunde liegenden Glaubenssatzes liegt. Oft geht es um Selbstwertthemen, um Schuldgefühle oder Ängste.

In dem sicheren Raum, den ich aufmache, darf alles sein und ausgesprochen werden. Dabei wende ich Methoden aus dem ThetaHealing © und der Trauma-informierten inneren Kind-Arbeit an. Das Fundament meiner Arbeit liegt in „radical acceptance“ – alles darf gefühlt werden – und: Für alles gibt es einen guten Grund. Sobald der Grund gefunden und aufgelöst wurde, kann sich das Symptom, die Gedankenspirale oder das Gefühlsknäuel auflösen.

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Judith Schunk. Foto: Katja Hentschel

Wie groß ist die Nachfrage – und: Gibt es Gemeinsamkeiten bei den Frauen, die du feststellst? 

Meiner Wahrnehmung nach ist die Hürde, Hilfe anzunehmen, immer noch hoch. Bisher habe ich keine Gemeinsamkeiten feststellen können. Dunkle Gedanken und Gefühle kennen alle Mütter. Und leider kennen auch fast alle Frauen den Druck der Erwartungen aus ihrem Umfeld und die Verurteilung durch andere Mütter, das sogenannte Mom Shaming

Bei manchen Frauen werden die dunklen Aspekte aus dem Inneren und/oder Äußeren übermächtig – und dann wird die Mutterschaft als belastend empfunden. Das kann Müttern, die ihre Schwangerschaft von langer Hand geplant haben genauso ergehen wie Frauen, die unerwartet schwanger wurden. Das Thema betrifft Alleinerziehende genauso wie Frauen in einer festen Partnerschaft. 

Viele hadern ja nicht mit ihren Kindern, sondern mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wo siehst du die größten Herausforerungen für Mütter heutzutage?

Beides ist ok. Mit den Kindern zu hadern, der Beziehung zu ihnen, mit den Anforderungen, der Verantwortung und Dauerbelastung. Es ist ok, sich das alte Leben zurück zu wünschen. Und genauso ist verständlich, mit dem „job assignment“ Mutterrolle zu hadern. Denn das macht wirklich keinen Spaß heutzutage: Zentnerschwere Erwartungen, die sich gegenseitig ausschließen.

Einerseits hat die moderne, emanzipierte Frau ihr Leben weiterzuleben: Die Karriere weiterzuverfolgen, den Freundeskreis zu behalten, dabei einen sexy Afterbabybody inklusive versteht sich. Andererseits ist bindungsorientierte Erziehung ein MUSS für jede aufgeklärte Frau hierzulande. Uafopferung wird auch noch groß geschrieben: So lange wie möglich zu Hause bleiben, so viel Zeit wie möglich mit dem Nachwuchs verbringen. 

Was löst das aus?

Das Korsett an Erwartungen wird täglich fester geschnürt; durch ungefragte Ratschläge, unangepasste Gesetzeslagen, Verurteilungen auf Social Media oder auf der Straße, Benachteiligung am Arbeitsplatz uvm. Bis Frauen mit Kindern irgendwann die Luft zum Atmen fehlt; Burnout und Krankheit sind nicht selten die Folge. 

Die Lösung ist nicht weniger als die Veränderung des gesamten Paradigmas, unserer veralteten Annahmen über Gender, Familie, Konsum, Klima, Wirtschaft. Das ist groß und unübersichtlich. Meine Lösung auf der persönlichen Ebene: Zurückfinden zur Intuition, zum Bauchgefühl. Unser Weg führt uns zum Schoßraum, zum weiblichen Prinzip. 

Um die Rückverbindung zu sich selbst und zur inneren Weisheit herzustellen braucht es Mut. In unserer patriarchalen Gesellschaft wird das weiterhin eher bestraft als belohnt – deswegen braucht es Mitstreiter*innen, sichere Räume und Zugang zu emotionalen und logistischen Ressourcen. 

Seit sechs Jahren arbeitest du mit diesem Thema, bist im Austausch mit Frauen und gibst Coachings. Kannst du uns von deinem rührendsten Erlebnis in dieser Zeit erzählen? 

In meiner Heilarbeit darf ich immer wieder erleben, wie eine Klientin die Mauer durchbricht, die sie von einer Erkenntnis trennt. Ein Zusammenhang entsteht, heilsames Verständnis. Die Person bricht dann oft in Tränen aus, ein ganz alter Staudamm bricht. Paradoxerweise zerbricht etwas – die Ent-Täuschung ist das Sterben einer Illusion. Und gleichzeitig wird etwas heil. Die Person ist dann wieder in Kontakt mit einem Teil in sich, den sie lange von sich abgeschnitten hatte. Sie ist ganzer, heiler. Danach ist die Atmosphäre immer von einer ganz innigen Sanftheit erfüllt, wie nach einem Regenguss an einem Sommerabend.

Ist deine Arbeit in gewisser Weise auch eine Art Selbsttherapie für dich? Du sagst, bei dir habe sich das Mutterglück nicht direkt nach der Geburt eingestellt…

Ja und nein. Wenn ich mit meiner Arbeit in den sozialen Medien und in der Öffentlichkeit dazu beitrage, #regrettingmotherhood noch sichtbarer zu machen, dann hat das definitiv mit mir zu tun. In meinen dunkelsten Zeiten war ich ganz allein mit dem Thema. Es ist mir deswegen ein persönliches Anliegen, dass wir bei dieser Debatte nicht nur über den politischen Schneid sprechen – sondern auch über die individuelle Ebene, da wo es weh tut. Ich wünsche mir, dass keine Frau das Gefühl haben muss, mit ihrem Schmerz, ihren dunklen Gedanken, ihrer Wut, ihrem Neid, ihrer Angst, ihrer Reue allein zu sein. 

Andererseits bin ich bei einer Session mit einer Klientin in einer Art Arbeitstrance. Angebunden an die Quelle und die Erde bin ich eine Seelenbegleiterin für die Frau: Ich stehe ihr bei, wenn sie in sich selbst abtaucht, in ihre Erinnerungen, in ihren Kern, in ihre Seelenlandschaften. Ich helfe ihr dabei, sich selbst zu verstehen und Missverständnisse aufzuklären; um die Veränderung zu bewirken, die sie sich wünscht. In diesen Momenten hat meine eigene Geschichte keine Relevanz. 

Du beschreibst deinen Weg als „von unerträglich zu mütterlich“, von „Rabenmutter zu Phönix“, wie meinst du das genau?

Zu Beginn unserer Reise war ich im Widerstand. Ich hatte mich zwar gegen eine Abtreibung entschieden – aber ich wollte dieses Kind und alles, was diese Verantwortung mit sich brachte, im tiefsten Herzen nicht. Einen großen Teil der Schwangerschaft verbrachte ich im Krankenhaus, weil meine Neurodermitis so schlimm wurde, dass ich mich nicht selbst versorgen konnte.

Nach der Geburt wurde es noch dramatischer: Ein Baby, das schreit, das ununterbrochen Bedürfnisse hat, Tag und Nacht. Ich konnte ihr nur das geben, was ich hatte – und das war zu wenig. Mein bisschen an Ressourcen reichte nur ganz knapp für ihre und meine Grundbedürfnisse. Es hat lange gedauert, bis ich mich aus diesem „survival modus“ herausgekämpft hatte.

In größter Not bin ich den radikalsten Schritt gegangen: ich habe sie abgegeben. Meine Tochter war 9 Monate alt zu diesem Zeitpunkt. Sie war insgesamt drei Wochen von mir getrennt: Zuerst bei meiner Tante, dann bei ihrem Vater und als der nicht mehr konnte, hat unsere Tagesmutter sie bei sich in der Familie aufgenommen.

Wie ging es dann weiter?

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Judith Schunk. Foto: Katja Hentschel

Von da an ging es bergauf. Ich konnte mich so weit sammeln, um den Sprung aus dem bayerischen Dorf nach Berlin zu schaffen. Gründete eine SingleMom-WG und startete mit einer Yogalehrer*innen-Ausbildung in eine neue Karriere. Schritt für Schritt konnte ich mich meiner Tochter nähern. Ihre körperliche Nähe bereitete mir keine körperlichen und emotionalen Schmerzen mehr. Wir haben uns Zeit genommen, um nachzunähren, was bei uns beiden zu kurz gekommen war. Es ist eben nie zu spät für eine glückliche Kindheit. 

Der totale Widerstand gegen sie, der sich so heftig in der Krankheit manifestiert hatte, schmolz mehr und mehr dahin, je mehr ich mithilfe von Therapeutinnen und Heilern meine eigenen Wunden heilte. Ich begann, mich selbst ausbilden zu lassen: In ThetaHealing © und Psycho-spiritueller Seelenbegleitung am Welten-Institut. Aus dem totalen Nein zu meinem Kind wurde erst ein Ok… und schließlich ein allumfassendes Ja! Dass ich es geschafft hatte, meine Tochter ganz und gar in meinem Leben willkommen zu heißen und meine Mutterschaft anzunehmen, wurde mir auf unserer großen Reise klar. Als ich allein mit ihr in unserem VW-Bulli zehn Wochen lang unterwegs war – und es zutiefst genossen habe. 

Glorifiziert unsere Gesellschaft das Muttersein zu sehr? 

#muttermythos. Da hat sich seit der preußischen Königin Louise überraschend wenig getan. Die Mutterschaft wird leider immer noch als die Krone des Frau-Seins gesehen. Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, werden krumm angesehen oder verurteilt. Frauen, die privat oder öffentlich über die Schattenseiten der Mutterschaft sprechen oder gar über ihre Reue, werden stigmatisiert und pathologisiert.

Jeder will es werden, keiner will es sein? Ironischerweise sind Frauen die Kinder bekommen – mit und ohne Partner*in – dann, wenn es soweit ist, ausgeschlossen von vielem, was das aufgeklärte westliche Leben so zu bieten hat. Wie familienfeindlich Deutschland ist, zeigt sich auch im #mentalload und #carearbeit Diskurs. Ich freue mich über jede Person, die Authentizität in diese Debatte mitbringt. Und ich bin überzeugt: Jede*r, der oder die an den eigenen Themen arbeitet, hilft dabei, das Feld zu verändern.

Wie geht´s dir heute?

Ich fühle mich lebendig. Ich genieße das Leben, mein Leben mit Kind. Ich bin freier als ich es war, bevor ich Mutter wurde. Denn ich kenne mich jetzt besser, habe alte Muster abgelegt und kann selbstbestimmt handeln, denken und fühlen. Was vor kurzem noch undenkbar war, ist jetzt möglich, ist Realität. Es gibt Momente, da halte ich einfach inne und staune, voller Stolz und Dankbarkeit.

Wenn es mal nicht rund läuft und es mir nicht gut geht, werde ich zur Beobachterin. Statt mich mit meinen Gefühlen zu identifizieren, nehme ich sie einfach wertfrei wahr. So finde ich schnell wieder zurück in meine innere Mitte. Ich höre auf meinen Körper, nehme jedes Signal ernst. Anstatt einen vorher geschmiedeten Plan zu verfolgen, handle ich intuitiv und nach meinen Bedürfnissen; im Vertrauen darauf, dass ich dahin geführt werde, wo es gut ist für mich. Es erfüllt mich, dass ich mit meiner Arbeit Frauen dabei helfen darf, glücklich zu sein im Leben mit Kind. 

Dir ist es wichtig, zu betonen, dass Mütter nicht glücklich sein MÜSSEN, dass sie es aber sein KÖNNEN. Was möchtest du uns Müttern hier draußen noch gern mit auf den Weg geben?

Du darfst unglücklich sein. Tatsächlich ist das der sicherste Weg, um glücklich zu sein. Damit meine ich den achtsamen Umgang mit dem Unglücklichsein: Glück und Unglück sind Gedanken. Was ist das Gefühl, was darunter liegt? Traurigkeit? Wut? Ohnmacht? 

Unter jedem Gedanken liegen Gefühle. Weil sie uns Angst machen oder wehtun, fühlt es sich sicherer an, sie zu ignorieren. Beim bewussten Unglücklichsein geht es darum, aufmerksam an dem Punkt zu bleiben, an dem ich die Gefühle wahrnehmen kann, ohne hineinzufallen. Ohne auszuweichen und ohne dem Drang nachzugeben, sich selbst dafür zu verurteilen. Wenn du es dir da bequem gemacht hast, bleibt nur noch Glücklichsein übrig. 

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4 comments

  1. Und den Kindern ein „nimm dich selbst nicht ernst und setz eine glückliche Maske auf auch wenn’s dir scheiße geht vorleben“?
    Dann doch lieber den Verarbeitungsprozess. Glücklicherweise leben wir in Zeiten, wo man ehrlich sein darf und konstruktive Unterstützung bekommen kann. Und wenn Sie manch Geschichte von Müttern, die bereuen Mutter geworden zu sein, mal unvoreingenommen lesen würden, könnte ihnen auffallen, wieviel mehr Licht am Ende des Tunnels für groß und klein scheinen kann als mit der Härte oben genannter Maske.

  2. Nun glücklicherweise müssen wir Frauen nicht mehr Mutter werden ( Verhütung, Abtreibung, Adoption…). Da wünsche ich mir mehr Ehrlichkeit, Eigenverantwortung und zu seinen Entscheidungen dann bitte auch stehen und nicht nach Schuld/ Ursachen bei Anderen suchen. ( Ich lese hier leider nichts warum die Frau schwanger wurde/ werden wollte? Das klingt so erzwungen was hier in Deutschland ja nicht stimmen kann also wo ist ihr eigener Beitrag dazu?)

    1. Silvia, lies den Beitrag nochmal. Sie schreibt, dass sie sich gegen eine Abtreibung entschieden hat, also lag wohl kein Kinderwunsch zugrunde. Und sie erzählt hier wirklich sehr ausführlich, wie sie Verantwortung übernommen hat – und das nicht nur für sich selbst, sondern sogar für andere Mütter.

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