Wie ist das Mutter-sein in Israel? Ein Interview über Religiosität, Hebammen und Heimweh

judith fotor

Liebe Judith, Du hast uns geschrieben, dass Du in Isreal lebst, Stadt Land Mama aber sowas wie eine Nabelschnur für Dich nach Deutschland ist. Das freut uns soooo. Erzäh mal, seit wann lebst du in Israel und wie kam das?

Ich bin vor über 3 Jahren für einen Job nach (West-)Jerusalem gezogen. Ich habe damals die Projektleitung einer politischen Kooperation von israelischen, palaestinenischen und deutschen AktivistInnen übernommen und dachte, dies sei einfach ein Schritt auf der Karriereleiter und ich würde nach 2 Jahren einfach mein Berliner Leben wieder aufnehmen. Wie das Leben so spielt, war meine Wohnung in der Nachbarschaft von einem ehemaligen Urlaubsflirt von mir, wir hatten die gleiche Stammkneipe und ganz viel Chemie zwischen uns. So lebe ich heute immer noch hier und habe inzwischen eine deutsch-israelische Familie.

Du bist vor einem Jahr Mutter geworden. Wie hast Du die Schwangerschaft und Geburt in Israel erlebt?

Die Schwangerschaft war für mich ein ständiger Kampf zwischen meinen deutschen Vorstellungen und der israelischen Realitaet. Es gibt keine Hebammen, keinen Mutterpass und vor allem nicht die vielen verschiedenen Lebensmittel aus meiner Kindheit, nach denen es mich plötzlich gelüstet hat. Ich stand mehrmals weinend im Supermarkt, weil ich unbedingt diesen einen Joghurt haben wollte und sowieso alles einfach falsch war. Zum Beispiel habe ich mir Stillen ganz unromantisch durch Youtube-Videos beigebracht.

Die Versorgung während der Geburt hat mich allerdings versöhnt. Ich hatte eine Risikoschwangerschaft und die Geburt wurde vier Wochen zu früh eingeleitet. Weil die Geburt so schwierig war, wurde mir die gesamte Zeit eine eigene Krankenschwester an die Seite gestellt. Nach 18 Stunden Wehen konnte ich nicht mehr und wollte einfach nur einen Kaiserschnitt haben, damit die Schmerzen endlich vorbei sind. Da kam eine Aerztin, hat sich neben mich gesetzt, meine Hand genommen und gesagt: Hey, das schaffst du. Das ist medizinisch nicht notwendig, du hast ausserdem genügend Kraft in dir und wir schauen jetzt mal, wie wir dich weiter unterstützen können. Nach insgesamt 24 Stunden kam der Kleine dann in der Tat natürlich auf die Welt und ich bin heute sehr dankbar für dieses Vertrauen in meine eigene Kraft.

Du bist nach drei Monaten wieder Vollzeit in den Job eingestiegen? Wie ging es Dir damit und wie machen das die meisten anderen Mütter in Israel?

Es gibt einen gesetzlichen Mutterschutz von drei Monaten in Israel. Danach gehen die meisten Frauen wieder arbeiten, das Leben ist hier wahnsinnig teuer und ein einziges Gehalt reicht meist nicht aus. Zum Glück haben wir tolle Grosseltern in der Nähe und mein Mann und ich können uns unsere Arbeit recht flexibel einteilen, so haben wir die Fremdbetreuung vermieden. Viele Mütter haben aber nicht dieses Glück, es gibt also viele sehr kleine Babys in israelischen Kindergärten.

Es war wichtig und gut für mich, wieder mehr geistigen Input zu haben. Die Eintönigkeit und Mischung aus Langeweile und Überforderung während des Mutterschutzes haben mich ganz schön geschafft. Auf der anderen Seite war es körperlich grade am Anfang wahnsinnig hart, ich weiss nicht wie oft ich vor Müdigkeit unter der Dusche geweint habe oder auf wie vielen Autobahnraststaetten ich zwischen zwei Meetings Milch abgepumpt habe. Aber mit viel Pragmatismus, Mut zur Lücke und tollen Kolleginnen ging das irgendwie.

Was hast Du durch Deinen Sohn über Dich selbst gelernt?

Dass ich meinen eigenen Instinkten als Mutter vertrauen kann.

Was war am Schwersten für dich im letzten Jahr?

Wir haben hier keine engen Freunde mit Kindern und ich habe schlicht keine Zeit und Kraft für Krabbelgruppen. Ausserdem ist der israelische Teil Jerusalems sehr stark von Religion geprägt. Das heisst, auf unserem Spielplatz bin ich immer die einzige nicht-religiöse Mutter, deren Sommerkleid immer ein wenig zu kurz ist und ganz offensichtlich nicht Teil der Gemeinschaft ist. Ich fühle mich also manchmal alleine und isoliert in meinem Mama-sein.

Was vermisst Du an Deutschland?

Meine Freunde, bezahlbaren Käse und Wein und dass Leute in Warteschlangen anstehen.

Was findest du in Israel besser geregelt als in Deutschland?

Kinder gehören hier zur Normalität und zum Alltag dazu, sie sind gewünscht und dürfen Kinder sein. Wir nehmen den Kleinen überall mit hin, so wird er sogar in (rauchfreien) Restaurants und Kneipen stets mit einem Lächeln und einem Gläschchen Milch begrüßt. Jedes Mal in Deutschland bin ich geschockt über den Unterschied, den ich im öffentlichen Umgang mit Kindern wahrnehme.

Gibt es Pläne, wie es bei Euch weitergeht?

Wir ziehen im September nach Deutschland um zu testen, wie es uns dort geht. Das Leben ist einfacher und günstiger in Deutschland, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir uns zu Hause fühlen werden. Dies herauszufinden ist unser nächstes Ziel.

Wie hat sich Eure Partnerschaft durch das Kind verändert?

Ganz zu Beginn der Mutterschaft hatte ich so eine Art feministischen Schock. Ich habe meinen Mann darum beneidet, noch eigene Bedürfnisse wahrnehmen zu können. Und mein Mann war frustriert, weil er mir meine Überforderung oft nicht nehmen konnte und auch noch selber in die neue Lebenssituation finden musste.  Aber die Elternschaft hat auch eine ganz neue Intimitaet und Verbindlichkeit entstehen lassen, so dass wir mit viel Ehrlichkeit und Humor an unseren Themen arbeiten. Ich finde uns als Team schon ziemlich toll.

Wenn Du eine Sache an Eurer Situation optimieren könntest – was wäre das?

Ich würde gerne wissen, in welchem Land und vielleicht sogar in welcher Stadt wir in den nächsten 5 Jahren leben werden. Oh, und mehr Schlaf wäre auch mehr als okay für mich!

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