Angst – Dieses gemeine achtarmige Monster – Gastbeitrag von Luisa

clouds 1246602 1280

19. Dezember 2016, ein LKW rast in einen Berliner Weihnachtsmarkt, ungläubig wie nach jeder dieser Schreckensnachrichten sitze ich vor den Tagesthemen. Am nächsten Morgen hören wir wie so oft Radio aber als von „Terror“ und „Anschlag“ die Rede ist, schalte ich schnell ab. Ich möchte nicht, dass das große Kind davon etwas mitbekommt. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie kurz nach dem Anschlag in Paris einmal der Fernseher lief und das damals zweijährige Kind mich fragte: „Mama, wo ist der böse Mann jetzt?“ Und genauso erinnere ich mich an meine Hilflosigkeit: Was antwortet man da?

Am 20. Dezember ist mir auf dem Weg zum Kindergarten ein wenig mulmig, denn heute wollte die Gruppe eigentlich zum Weihnachtsmarkt in der Münchner Residenz. Ich versuche meine Nerven mit morbiden Gedanken zu beruhigen: „So etwas passiert jetzt nicht so schnell noch einmal“, „Ein LKW fährt bestimmt nicht in die Residenz, die umgeben von altem Gemäuer ist.“ Ich möchte, dass mein Kind von diesen Dingen nicht beeinträchtigt wird, aber noch viel mehr möchte ich wissen, dass es immer und überall sicher ist. Der Duden definiert Angst als “undeutliches Gefühl des Bedrohtseins”. Und genau dieses achtarmige Monster der Angst, was mir einen dicken Knoten in der Magengegend beschert, versuche ich den ganzen Weg zu bezwingen. Als die Erzieherin uns an der Tür begrüßt und gleich sagt, dass es keinen Weihnachtsmarktbesuch geben wird, bin ich dennoch erleichtert.

Seit Dezember sind mittlerweile schon wieder fünf Monate vergangen. Immer noch vermeide ich Radio und Tagesthemen in Anwesenheit der Kinder. Die Große ist nun fast 4 und versteht schon viel zu viel. Gerade spielt vor allem das Thema „Sterben“ für sie eine große Rolle, da soll sie nicht auch noch mit solchen Bildern belastet werden. Vor zwei Wochen kam ich in den Kindergarten, ganz ohne mulmiges Gefühl – bis ich ein Schild sah: „Nächste Woche planen wir einen Ausflug auf das Frühlingsfest.“ Die meisten Eltern schienen jegliche Terrorangst beiseite geschoben zu haben, auch mein Mann schien keine Bedenken zu haben. Mir viel es ehrlich gesagt nicht so leicht. Nachdem ich die Große weggebracht hatte, joggte ich mit dem Kinderwagen um die Theresienwiese – Veranstaltungsort des besagten Festes. Ich schaute mir interessiert den Aufbau an und erwischte mich dabei wie ich Baumreihen und Betonpfeiler zählte, die LKWs davon abhalten würden hier in eine Menschenmenge zu rasen. Ich überlegte, wie gut wohl die Autos der Schausteller kontrolliert würden und fragte mich: „Warum stehen eigentlich keine Sprengstoffspürhunde am Eingang?“

Ich gab mich einen Moment lang der Angst vor diesem ungewissen Bösen vollkommen hin. Ich hoffte, es wäre heilsam. Doch ich stellte fest wie schnell man sich in etwas hereinsteigern konnte und habe mir fast gewünscht das Kind wäre aus irgendeinem Grund an dem Tag krank und könnte den Ausflug mit den Freunden einfach nicht mitmachen, ohne dass die hysterische Mama irgendetwas dazu beigetragen hatte.

Dann kam es aber doch anders: Nicht das große Kind wurde krank sondern das Kleine. Drei Nächte lag es mit 40 Fieber auf mir und ich wusste nicht mehr wann Montag, Dienstag oder Mittwoch war. Und als ich am Mittwoch um 15. 30 Uhr zombieartig zum Kindergarten kam, sprang ein fröhliches rotbäckiges Kind auf mich zu, dass sich vor lauter Eindrücken und Erlebnissen kaum im Zaun halten konnte. Es gab Zuckerwatte und Limo und sie durften Karussell fahren, aber die Geisterbahn die war zu gruselig und auch viel zu teuer, sagt die Sandra. Ich musste lächeln und war so froh, dass ich mein Kind mit meiner Angst nicht belastet hatte – auch wenn es am Ende vielleicht nur Zufall war.

Aber ein Patentrezept wie man mit so etwas wirklich umgeht, habe ich noch nicht gefunden? Na klar, ich kenne alle Sprüche zum Thema: „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, aber seit ich Kinder habe, fällt es mir wirklich schwerer solchen Dingen trotzig entgegen zutreten.

da77d9bcce5f4b10a34d703ea625d8a4

Du magst vielleicht auch


1 comment

  1. Man sollte seinem Gefühl und seinem Verstand trauen
    Liebe Luisa, als Berlinerin , die den Anschlag auch mit Schrecken erlebt hat, kann ich Dir nur sagen: hör auf Dein Gefühl. Ich habe meinen Schwiegereltern, die immer um die Weihnachtszeit aus dem Dorf nach Berlin kommen, schon im Jahr davor gesagt, dass ich sie mit den Kindern auf keinem Weihnachtsmarkt in der Innenstadt wissen will. Ich wurde dafür ungläubig beäugt und belächelt. Unsere Kita hat auf Anweisung des Trägers Ausflüge an Flughäfen und Bahnhöfe zum „Züge gucken“ und „Flugzeuge gucken“ schon vor dem Anschlag aufgrund der Sicherheitslage gecancelt. Es ist nicht verkehrt, sich Gedanken zu machen, und Du bist auch nicht die Einzige, die sich sorgt. Es ist immer noch ein himmelweiter Unterschied, ob man sich in Panik verliert, oder ob man ganz für sich entscheidet, womit man sich wohl oder unwohl fühlt. Man kann so viele schöne Dinge mit Kindern unternehmen, die nicht in einem Menschenauflauf mitten in der Stadt stattfinden. In dieser Sache sollte jeder für sich selbst entscheiden dürfen, und sich dabei nicht als „Angsthase“ vor sich selbst oder vor anderen fühlen müssen.