Caro, Lisa, jetzt schnallt Euch an. Denn in diesem Gastbeitrag geht es um die böse Großstadt Berlin und um den Schrei nach Land

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GASTBEITRAG von Christin vom Blog „Die Zwiebelwelt als Mama“.

Berlin. Alexanderplatz. S-Bahnsteig. Am Fahrkartenentwertungsautomaten schluchzt eine junge Mutter hemmungslos vor sich hin. Verzweifelt versucht sie ihre mittlerweile mehr als verknitterte Fahrkarte in das Gerät zu bekommen. Ein schneller Blick zur Uhr, die Bahn kommt in einer Minute.

Leute eilen vorbei, rempeln sie an, drängen sich mit einem gemurmelten: „Darf ich?“ oder auch mit einem: „Platz da, mein Zug kommt!“ zwischen sie und den Automaten, um ihr Ticket zu lösen. Kein Blick, kein nettes Wort, keine helfende Hand bleiben an der offensichtlich tief verstörten Frau hängen. Immer energischer stopft die das Ticket in den Schlitz. Aus zusammengebissenen Zähnen kommen wütend hervorgestoßene Satzfetzen: „Was ist das…Scheiße…ich hasse…blöde, große Stadt…lieber Land…Natur…keine Hundekacke…Mist!“

Auf einmal klickt es und die Mama guckt erstaunt auf das lädierte Stück Papier in ihrer Hand. Unglaublich! Es hat funktioniert! Die Fahrkarte ist entwertet. Erleichtert atmet sie auf und bahnt sich einen Weg zum Ende des Gleises. Natürlich immer am Rand entlang. Den Kinderwagen möglichst weit rechts schiebend aber selbst immer mit einem Fuß knapp an der Kante, zum Runterrutschen bereit!

Ihr Gesicht verzerrt sich, ihr Blick erhärtet sich. Mit einem energischen Schlenker lenkt sie den Buggy mitten auf den Bahnsteig und fährt weiter. Diesmal ohne  die Gefahr, beim kleinsten Schubser aufs Gleis zu fallen.

Ohne Rücksicht auf Verluste marschiert sie durch die Menge. Den Buggy voraus, fast als Planierraupe missbrauchend. Sie fährt in Hacken, schiebt Leute beiseite, überfährt fast ein kleines Tier, das aussieht wie eine Mischung aus Hamster und Katze, wohl aber ein Hund sein soll.

Ihr reicht es! Das merkt man deutlich!

Die Leute werfen ihr zornige Blicke zu, grummeln Beleidigungen und machen nur wenig bereitwillig Platz. Die junge Mama, mittlerweile am Ende des Gleises angelangt, beißt sich auf die Lippen. So arg, dass es schon weh tut. Einfach um nicht alles raus zubrüllen, was da aus ihrem Mund will. Aber sie denkt es. Wie eine kleine Kriegsmaschine rattert ihr Gehirn und sie schluckt all die bösen Sachen hinunter die sie so gerne los werden würde!

„Ich hasse Berlin!“ will sie schreien, „Es ist unglaublich, wie rücksichtslos und blind ihr Menschen seid! Deutschland braucht angeblich mehr Kinder, lieber nicht, bei dieser Gesellschaft! Keiner hat mir geholfen, als der Fahrstuhl kaputt war. Ich musste den schweren Buggy drei ganze Treppen hoch ziehen. Hunderte Leute strömten an mir vorbei und keiner konnte mit anfassen?! Alle haben mich angerempelt, so dass ich fast mit dem Buggy die Treppen runter gestürzt bin aber geholfen hat keiner! Jedes Mal, wenn ich auf einem Bahnsteig bin muss ich mit meinem Sohn am Rand langlaufen, weil kein Schwein Platz macht! In der S-Bahn und der Tram sind grundsätzlich die Kinderwagenplätze belegt und steht man dadurch im Gang wird man blöd angemacht! Ihr seid so unglaublich unfreundlich! Ich hasse Berlin! Ihr belegt die Kinderplätze, nutzt die Fahrstühle statt der Rolltreppen und nehmt dadurch uns Müttern und Kindern den Platz! Berlin ist so kinderunfreundlich! Ich ziehe weg! Raus aufs Land! Mir reicht es, ich hasse Berlin!“

All das und noch viel mehr will raus aus ihr… Schließlich ist sie am Ziel angekommen. Ihr Mann steht lächelnd am Steig und wartet auf sie. Er schließt sie in die Arme und sie weint. Langsam gehen sie los und sie erzählt. Lässt all den Frust bei ihrem Liebsten raus. Dem Menschen, der sie versteht. Dem Menschen der es besser macht, der mit anpackt, wenn ein Kinderwagen getragen werden muss. Der Türen aufhält, Platz macht und Hilfe anbietet, wenn sie benötigt wird!

Hui, Danke für dieses emotionale Stück, liebe Christin! Das wird hier sicherlich zu Diskussionen führen. Wir sind gespannt. Wem es gefallen hat, der schaue doch auch mal im Blog der Autorin vorbei: Die Zwiebelwelt als Mama

Fotoquelle

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14 comments

  1. ich wurde herzlichst
    ich wurde herzlichst angepflaumt, weil ich DIE hilfe nicht annehmen wollte… und bei dem beispiel wurde mir hilfe direkt angeboten ohne zu fragen und das hier in berlin! ich fand das super! meine erfahrungen? wenn ich den leuten direkt in die augen schaue und sie direkt anspreche, wird mir immer geholfen. wenn ich davon ausgehe, dass alle anderen hellsehen und zuvorkommend sind, weil ich mich nicht traue direkt jmd zu fragen, kann ich oft, aber auch nicht immer, lange warten.

  2. Frankfurt
    Ich habe zwar die Erfahrungen nur aus der anderen Sicht gemacht, aber ich kenne das auch. Ich habe einige Jahre in Offenbach und Frankfurt verbracht und an „meiner“ S-BAhnstation gab es auf der einen Seite einen Aufzug, auf der anderen Seite zwei Rolltreppen. Leider waren diese oft kaputt, wenn ich mit einem Koffer unterwegs war. Und die Male, in denen mir jemand freiwillig geholfen hat, kann ich an einer Hand abzählen. Andererseits habe ich mich immer angeboten, wenn ich Mütter (oder auch Väter) mit Kinderwägen und Buggies auf den Treppen gesehen habe.
    Das krasseste Erlebnis hatte ich allerdings mal in einer U-Bahn mit einer Schulklasse. Ich denke, die Kinder waren so 12 bis 13 Jahre alt und auf dem Weg zurück zur Schule. Wir sind alle an der Anfangshaltestelle eingestiegen und ich wurde von ihnen zur Seite geschubst, damit sie ja einen Sitzplatz bekamen. Die Bahn war dann schon recht voll. An einer der nächsten Haltestellen stieg dann ein älterer Herr ein, dem man ansehen konnte, dass er nicht besonders gut „zu Fuß“ war. Es hat keiner der Kinder auch nur angeboten seinen Platz abzugeben und als eine Frau sie dann darauf hinwies, wurden sie extrem unverschämt, von wegen ihnen stände genauso der Sitzplatz zu etc. Das hat mich schon sehr schockiert.
    Aber auf dem Land ist auch nicht alles besser…

  3. Nicht jeder ist Stadt-Mensch…
    ich bin schon in Hamburg geboren und aufgewachsen und werde in dieser Großstadt auch meinen Sohn großziehen. Ich habe bisher nie schlechte Erfahrungen gemacht und gehe auch auf Leute zu und frage nach Hilfe. Meistens ist das aber nicht mal nötig, weil mir auch so sofort ein netter Herr oder Frau hilft. Klar gibt es auch ignorante Menschen, aber die gibt es überall. In der Stadt ist es halt geballt. Ich habe aber auch viele Freunde die mittlerweile mit ihren Kindern ins Umland ziehen und lieber für sich im Haus und eigenen Garten ihre Zeit verbringen. Ich würde da vereinsamen und möchte mein soziales Umfeld nicht aufgeben, also bleiben wir in der Stadt. Das muss jeder für sich entscheiden. Zum Glück hat man meistens die Wahl, wenn man wirklich will!

  4. Dit is Berlin, wa
    Zunächst einmal Kompliment für mitreißende Geschichte.
    Gerade am Alex, wo sich gottunddiewelt treffen, ist es manchmal besonders schlimm. Es ist laut, voll, die Leute schotten sich ab und wollen nur schnell weg. Ich wohn da auch, fahre sehr selten mit der Bahn und habe auch viele negative Erlebnisse.
    Aber dann gibt’s so Tage, da scheint die Sonne, das Wochenende steht vor der Tür, etc… ich weiß nicht warum, aber kommt ein Mann auf mich zu und geht extra mit, um mir mit meinen Kindern zu helfen…ohne dass ich darum gebeten hätte oder verzweifelt drein geschaut hätte. So geht’s eben auch. Im übrigen frag ich mittlerweile jede, wirklich jede ältere Dame, ob ich beim Einkauf tragen behilflich sein kann.

  5. Ich kenne Berlin leider auch nur so…
    …und habe das in noch keiner anderen Stadt so extrem erlebt. Dabei erwarte ich nun wirklich keine Extrawürste, nur weil ich hochschwanger oder mit Baby unterwegs bin. Aber was ich da in Berlin schon so erlebt habe, echt gruselig 🙁

  6. So ist Berlin…
    Ich habe leider auch die Erfahrung gemacht, dass von alleine kaum jemand aufsteht oder mit anpackt. Gerade während meiner Schwangerschaften ist wirklich niemand freiwillig aufgestanden, das fand ich auch echt grenzwertig, dass ich da noch um einen Platz betteln musste…aber so ist Berlin…raue Schale, weicher Kern:-) Ich glaube, viele möchten gerne gefragt werden, so seltsam es klingt. Und außerdem sehen es viele auch gar nicht, da in der Bahn sofort das Buch rausgeholt wird. Das mache ich aber auch selbst, ich empfinde es immer ein bisschen wie ein Schutzschild. Aber ich verstehe total, wenn das alles Nicht-Berliner etwas abschreckt…
    Liebe Grüße
    Kirsten

  7. Zieh nach Köln!
    Also, hier ist auch nicht alles nur Zucker, aber in der Schwangerschaft hab ich ständig einen Platz angeboten bekommen, und mit Kinderwagen auch ganz oft ungefragt Hilfe bekommen. Der Rheinländer an sich ist eben entspannt!

  8. München
    Aaalso, ich bin mehr mit Kind im Tuch unterwegs, weil mir der Buggy zu kompliziert ist. Ich ganz neue Wege gehen muss UND gern mal Aufzüge nicht gehen an Hauptverkehrsknotenpunkten. Und KiWa und Rolltreppe oder tragen… Davor schrecke ich noch zurück.
    Was allerdings die Freundlichkeit betrifft: mir wird so gut wie immer ein Platz angeboten (mit Kind auf dem Bauch).

  9. hmm…
    Hi.also ich als, Ur-Berliner muss die Muddastadt 🙂 jetzt mal verteigigen: Während meiner ersten Schwangerschaft, meiner Zeit mit Kleinkind und meiner Zeit mit Kleinkind und Baby wurde mir immer Hilfe angeboten, habe ich immer Sitzplätze bekommen und wenn nich dann frage ich eben und spätestens dann hat sich jemand gefunden, der mitanfasst. Ganz ehrlich? Ich ärger mich immer über diese „Berliner sind so unfreundlich und muffelig“ Kommentare. Wieviele Ur-Berliner gibt es denn hier noch? Kann man das wirklich so pauschalisieren?

    Was habe ich auch davon ständig rumzujammern, wie kinderunfreundlich alle sind… meine Güte… ich empfinde das nich so und ich kann das ehrlich gesagt auch manchmal verstehen, dass andere meine schreiende Kinder nervig finden und ich möchte auch nicht abends in der Kneipe sitzen und am Nebentisch gehen Kinder über Tische und Bänke, denn dieser Abend ist meine Auszeit! Und manchmal muss man sich als Mutter auch nur halb so wichtig nehmen, die Welt dreht sich nicht nur um mich und meine Kinder…

  10. nicht nur Berlin ist so unfreundlich…
    …auch hier in Dresden wirst du als Mama nicht anders behandelt!!!
    Prinzipiell stehen Fahrräder da wo die Kinderwagen Platz haben sollen,elektrische Rollstühle werden in deinen Kinderwagen gerammt so das du Angst haben musst das deinem Kind was gebrochen wird und wenn du höfflich darauf hinweist das man das doch bitte einstellen soll oder um Hilfe bittest wirst du angepflaumt oder alles mit einer so miesepetrigen Grimasse gemacht das du dir wünschst doch lieber einfach nur den Mund gehalten zu haben.Es gibt auch Ausnahmen,doch sind gerade die doch sehr selten.
    Ich könnte noch viel mehr dazu schreiben,doch das sprengt das ganze jetzt 🙂
    Liebe Grüße aus Dresden

  11. ach …
    … in hamburch steht man auch mit dickem bauch gerne mal in bus und bahn. wenn mir dann eine alte dame als einzige ihren platz anbietet – puh, das finde ich schon hart! ansonsten haben auf anfrage wirklich immer alle menschen lieb und geduldig geholfen. ja, es ist doof, dass man erst fragen muss – aber das ist wohl der preis fuers immerundueberallinsmartphonedaddeleiversunken-sein … 😉
    gruesse aus dem auch manchmal boesen aber doch meist sehr perligen hamburch 🙂

  12. stimmt leider
    So empfinde ich Berlin leider auch. Ich liebe Berlin eigentlich, aber leider gibt es hier mehr solche als solche. Viel mehr. Kann man vielleicht nur nachvollziehen, wenn man selbst schon hochschwanger, mit Kleinkind an der einen Hand und Koffer in der anderen an der defekten Rolltreppe stand und NIEMAND hilft, alle nur bemüht wegkucken, wenn überhaupt. Und dann IN der U-Bahn wieder NIEMAND einen Platz anbietet. In Berlin leider die Regel, anderswo nicht denkbar. Stadt der Egoisten. Hat mich auch schon sehr verzweifeln lassen.

  13. Da hast Du Recht!
    Liebe Kristin,
    da hast Du allerdings Recht mit der Schwarz-Weiß Malerei! Ich habe es sehr drastisch geschrieben. Ich war an diesem Tag so runter mit den Nerven und habe es wirklich (leider) als so extrem empfunden! Deswegen auch die Tränen. Es würde mich freuen, wenn ich auch mal so positive Erfahrungen wie Du machen dürfte. Vielleicht frag ich wirklich einfach mal auch wenn ich das net so gern mag! Ich glaube aber auch dieses „Schwarz-Weiße“ in meinem Post kommt daher, dass ich generell eine Abneigung gegen so große, laute Gebiete habe und wir eigentlich schon lange umziehen wollen, es leider bisher nur noch nicht geklappt hat!
    Vielen Dank für Deine ehrliche Meinung, ich hoffe ich hab Dich, als true Berlinerin, nicht zu sehr verärgert!
    Liebe Grüße,
    Christin – Zwiebelmädchen

  14. Oh je…
    …was ist das denn? Ich schreibe jetzt mal, weil ich einfach diese Schwarz-Weiß-Malerei „hasse“. Ich lebe seit über 25 Jahren in Berlin und ja- auch ich habe schlechte Erfahrungen gemacht, aber auch eben so viele gute. Und es gibt überall solche und solche Menschen, in jeder Stadt und auch auf dem Land. Ich jedenfalls mag Berlin- das musste jetzt einfach mal geschrieben werden.
    P.S. Meinen Kindern habe ich übrigens schon früh beigebracht: Heulen nutzt wenig. Wenn ich etwas möchte, zum Beispiel auch Hilfe, dann einfach mal fragen. Das klappt. Garantiert!!!!