Corona-Melancholie: Wenn die Hoffnung an zu vielen Eigentlichs zerbröselt

Erschöpfte Familien Corona

Ihr Lieben, kennt ihr diesen Emoji, dem das Gehirn über dem kleinen gelben Gesicht explodiert? Vielleicht verfällt es auch zu Staub, das sieht man nicht richtig, aber fühlt ihr euch grad nicht auch manchmal so? Wie geht es euch als Familien grad – im zweiten Krisenjahr und steil auf einen erneuten Corona-Winter zusteuernd?

Gestern rief meine Freundin an und meinte, sie hätte so richtig Sozialneid. Wenn sie sähe, wie andere noch aufgestylt in Restaurants gehen, auf Veranstaltungen, ein Leben führen, während sie mit ihren noch ungeimpften Kindern (weil unter 12) zu Hause sitzt und Hustensaft reicht und Wadenwickel macht und testet, testet, testest, weil kaum noch zu glauben ist, dass es in diesem Winter auch noch andere Krankheiten als das böse große C gibt.

Corona bringt so viel Unsicherheit und Wackelei

Das Politische wird grad wieder privat, weil wir selbst entscheiden, können/müssen, was wir uns noch trauen – oder auch nicht. Geh ich zur Weihnachtsfeier oder schenk ich mir das lieber? Freue ich mich drauf und wird sie dann doch eh wieder kurz vorher abgesagt?

Wie oft haben wir uns in diesem Jahr auf Dinge gefreut, die dann doch nicht stattfinden konnten. Oder nur als Kompromisslösung, mit einem Umweg im Vorhinein, mit so viel Unsicherheit, so viel Wackelei.

EIGENTLICH hätte, wäre, könnte…

Corona ist wie ein Videoschiedsrichter in der Bundesliga. Man traut sich gar nicht mehr, sich über ein Tor der Lieblingsmannschaft zu freuen – weil dann doch wieder anders entschieden werden könnte. Weil einem die Freude dann doch wieder genommen werden könnte. Und wenn wir uns freuen, dann nur noch mit angezogener Handbremse. Kein Jaaaaaaa-Jubel mit vom Platz springen und den Nächstbesten Stadionbesucher umarmen. Es fehlt die Leichtigkeit, die pure, sorglose Emotion.

Es ist eine Zeit des „Eigentlich…“ geworden.

Eigentlich würde mein Mann in dieser Woche nach Afrika fliegen, um eine Insel zu besuchen, die eine Hilfsorganisation für Familien mit Kindern mit Behinderung bereitgestellt hat. Er wollte darüber berichten, um Spenden zu rekrutieren. Er hat ein Ticket gekauft und Equipment, er hat sich unbezahlten Urlaub genommen. Und dann kam Omikron. Er bleibt natürlich hier.

Eigentlich wollten wir die Blogfamilia in Berlin mal wieder stattfinden lassen, uns austauschen, vernetzen, weiterbilden. Wurde natürlich abgesagt, wie im letzten Jahr auch schon.

Eigentlich wollten wir das Erscheinen unseres neuen Buches mit Lesungen abfeiern – wir haben uns dagegen entschieden.    

Eigentlich waren wir im letzten Jahr sicher gewesen, dass dieses Jahr nur besser werden könnte. Wir wurden eines Besseren belehrt.

Eigentlich hatten wir gehofft, die Solidarität des ersten Lockdowns würde anhalten, stattdessen spaltet sich die Bevölkerung immer mehr. Längst hängen keine Wir-schaffen-das-Regenbögen mehr in den Fenstern. Alle versuchen irgendwie für sich selbst zu überleben, da durchzukommen. Ob das alles nochmal anders wird oder jetzt so bleibt?

Eigentlich hatten wir auf mehr Sichtbarkeit für Familien gebaut, aber nach wie vor sind wir nicht auf dem Radar. Unsere Akkus haben gar keine Zeit, mal wieder vollzuladen, es geht immer weiter, mit all der Unsicherheit, mit all den Quarantänen, mit teuren Masken, die sich nicht alle leisten können, für die es aber keine Unterstützung gibt. Mit Unterricht nach Lehrplan ohne Ausdünnung oder Entlastung, mit vollen Kinderpsychiatrien und Mutter-Kind-Kur-Heimen. Ohne Applaus für sorgetragende Eltern, ohne Entlastung oder Ausgleich, immer weiter und weiter und weiter.

Mütter und Väter, ganze Familien sind erschöpft

Wir sind dünnhäutig geworden. Wir sind erschöpft. Viel Hoffnung ist zerbrochen. Wir sammeln Scherben auf und kleben sie immer wieder zusammen. Bei uns. Bei denen, die uns lieb sind.

Wir flüchten uns in kleine Freuden, manchmal hilft das, oft aber auch nicht. Alles dauert so lang. Als hätte man uns in eine Warteschleife gesteckt. Und immer wenn jemand rangeht, bricht die Verbindung wieder ab und wir sitzen wieder im nervigen Gedudel, in der Hoffnung, doch noch jemanden an die Strippe zu kriegen. Warten kann mürbe machen. Nicht nur uns. Die Konflikte in Familien werden größer und auch die Kinder spüren die Warterei und Wackelei und reagieren auf ihre Art, was alles noch anstrengender machen kann.

Corona bringt Tränen

Wir greifen nach Strohhalmen. Aber manchmal klappt das nicht und dann weinen wir auch mal in unser Kissen. Corona bringt Tränen. Tränen dürfen sein, wenn sich das Leben so radikal verändert und nicht klar ist, wann es oder ob es jemals wieder anders wird. Tränen um sich selbst, Tränen um Alleinerziehende, die weiter am Stock gehen, Tränen um pflegende Eltern, um Kinder, die Gewalt ausgesetzt sind, Tränen um so viele zerbrochene Beziehungen in dieser Zeit, Tränen vor Wut über so viele Dinge, die anders laufen, als wir uns das wünschen würden.

Es ist jetzt so wie es ist. Es tut gut, wenn wir von euch die Rückmeldung bekommen, dass es euch ähnlich geht. Wenn uns Leserinnen schreiben, dass sie sich verstanden fühlen oder abgeholt. Weil uns das zeigt, dass wir eben doch nicht alle nur für uns allein durch diese Krise paddeln, sondern wir gemeinsam durch diesen Sturm rudern, uns helfen, den abgebrochenen Mast wieder aufzurichten, Schiffsbrüchige aus dem Wasser ziehen und mit zu uns an Bord holen, andere anschieben oder uns auch selbst mal anschieben zu lassen.

Gerade jetzt brauchen wir Zusammenhalt

Es sind wirklich schwierige Zeiten grad. Und wenn die Hilfe nicht von woanders kommt, lasst uns gern hier füreinander da sein. Einander zuhören und unterstützen. Denn zumindest das Ruder haben wir noch in der Hand. Seid euch gewiss: Wir sind viele – und nicht allein mit dem explodierenden Staubgehirn über dem gelben Emoji-Gesicht in Zeiten wie diesen.

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10 comments

  1. Vielen Dank für die absolut treffend formulierten Worte.
    Mir geht es mittlerweile auch nicht mehr gut.
    Ich arbeite als Apothekerin und erleb alles auch mit. Wir sind auch alle auf Anschlag. Testen, Impfzertifikate ausstellen, Immunkarten bestellen und Telefonate für Testtermine sind gefühlt unsere Hauptaufgabe. Dann diese Spaltung der Gesellschaft in die bösen Ungeimpften und guten Geimpften find ich schlimm. Die Kunden sind teilweise auch sehr aggressiv im Auftreten geworden und ich komme mir so ausgebrannt vor. Ich werde gegenüber meiner 7 jährigen Tochter oft ungeduldig und bin launisch. Ich seh irgendwie keinen Lichtblick dass wir aus dieser Spirale raus kommen. Ich bin geimpft aber ich glaube mittlerweile dass diese ganze Impfung, egal wie oft wir das machen uns nicht aus dem Ganzen rausbringen wird. Mittlerweile ist so viel so widersprüchlich. Es kann auch nicht die Zukunft sein, dass wir uns alle 3 Monate impfen lassen. Ich bin so müde und erschöpft, dass ich mich zu nichts motivieren kann.
    Ich wünsche allen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins hoffentlich bessere 2022.
    Liebe Grüße Steffi

  2. Danke für euren Artikel. Wie geht es uns als Familie? Wir haben ein pflegebedürftiges chronisch krankes Kind, das zur Risikogruppe gehört und leider noch keinen Impftermin, aber wir sind da dran. Ich fürchte wir werden auch diesen Winter so wenig wie möglich Kontakte haben, um die Ansteckungsgefahr zur verringern, hier in Sachsen sind die Zahlen ja derzeit am höchsten und leider viele Leute sehr wenig an der Einhaltung der Maßnahmen, zumindest sehe ich hier sehr viele die keine Maske tragen obwohl es Pflicht ist in Geschäften und Bus und Bahn, aber es wird weggeschaut und geduldet.Und wenn man was sagt wird man angefeindet und bedroht. Deshalb habe ich jetzt sogar meinen Job im Einzelhandel gekündigt, weil ich damit die Ansteckungsgefahr für mein Kind erhöhe.
    Ich hoffe einfach nur darauf, dass der Winter schnell vorbei geht und es allen aus unserem Umfeld gut geht.

  3. Vielen Dank für diesen Beitrag!
    Ich suhle mich grade im Selbstmitleid. Meine Tochter wird am Freitag sieben und hat Corona. Ihr geht es schon wieder gut, aber sie sitzt natürlich noch in Quarantäne. Ihren Geburtstage können wir dementsprechend nicht feiern. Mein Sohn wird am Dienstag 11 und sitzt mit in Quarantäne. Auch seinen Geburtstag können wir nicht feiern wie geplant, auch wenn er am Dienstag wieder frei ist.
    Beide Kinder bei den Schulsachen zu begleiten, hinter den Schulsachen herzurennen und sie dann auch noch so gut wie möglich zu trennen ist ein einziger Kraftakt grade. Dazu kommt die Sorge, dass sich einer von uns ansteckt und sich die Quarantäne für meinen Sohn verlängert. Mein Mann und ich sind zwar schon dreifach geimpft, aber Impfdurchbrüche gibt es ja genug.

  4. Eigentlich wollte ich nach drei Elternzeiten endlich/längst meine Doktorarbeit abgegeben haben, aber jetzt bin ich… Hausfrau seit 2 Jahren. Ist auch nicht so schlimm, immerhin können wir das finanziell stemmen und ersparen uns so eine Menge Stress. Trotzdem… Eigentlich ist mein jüngstes Kind kein Baby mehr und ich würde so gerne endlich endlich mal wieder ein bisschen me-Zeit haben. Geht natürlich nicht, sind auch zu knapp bei Kasse für solche Extrawünsche, siehe Punkt eins… Und trotzdem eigentlich… Geht es uns doch trotzdem noch ganz gut. Wir kommen klar, wir und vor allem die Kinder sind gesund, wir und vor allem die Kinder haben sich an Corona gewöhnt und damit auch an die Unsicherheit und dass schöne Dinge manchmal spontan ausfallen. Leider. Ich hoffe es macht sie stärker und ich hoffe mein „Opfer“ (meine Doktorarbeit) erfüllt seinen Zweck und sorgt dafür dass wir insgesamt okay aus dieser Situation hervor gehen… Eigentlich geht es uns okay. Aber manchmal verliere ich wirklich die Hoffnung dass dieser Zustand jemals aufhört, manchmal habe ich Angst dass das nur der Anfang ist und alles noch schlimmer wird.

  5. Hallo Lisa,

    Danke für die Zeilen. Der Artikel trifft recht genau auch unsere Gemütslage als Familie. Irgendwie ist alles im „Schwebezustand“ momentan. Kinder gehen zur Kita und Schule, aber wer weiß, wie lange noch?! Bis jetzt wurden wir von Corona bzw. Quarantäne verschont, aber die ständige Unsicherheit nervt. Es gab viele Infekte innerhalb der letzten acht Wochen bei unseren Kindern. Zu den normalen Sorgen (wer bleibt zu Hause und kümmert sich?) kommt Immer die Unsicherheit dazu: ist es Corona? Müssen wir jetzt alle in Quarantäne?

    Und auf Grund von diesen Infekten bzw. der Angst vor Corona haben wir so Vieles absagen müssen (vor allem lang geplante Besuche bei Freunden, die weiter weg wohnen, der geplante Kurzurlaub nach Weihnachten, Familienfeiern).

    Eigentlich gehen wir seit Oktober jede Woche ins Schwimmbad. Aufgrund der 2G+ Regelung hier mittlerweile unmöglich, die Test Kapazitäten sind am Limit in unserer Stadt.

    Das ist nur ne Kleinigkeit, ich weiß. Aber es nervt,die Kinder schon wieder zu enttäuschen.

    Und ja, irgendwie ist der Zusammenhalt verloren gegangen. Jeder wurschtelt sich für sich durch.

    Hier in unserem Bundesland gibt es jetzt eine 3-Klassengesellschaft: Ungeimpfe (kommen nirgendwo rein), vollständig Geimpfte (kommen mit Tests rein) und Geboosterte (kommen ohne Test rein). Das spaltet die Gesellschaft noch mehr. Das Hauen um Impftermine für den Booster ist im vollen Gange. Man ist gefühlt immer am erklären, warum man selbst noch nicht geboostert ist (Impfung keine 5 Monate her…). Irgendwie ein Deja Vu.

    Ich komm mir ganz oft vor wie in einem dystopischen Katastrophen – Film. Und erinnere mich oft an den Film „Die Insel“ und die Szene, wo die (vermeintlich) infizierten Protagonisten aus dem Gebäude fliehen wollen und durch eine Traube von Klonen laufen, die alle nur das Weite suchen, aus Angst sich anzustecken. Corona zu haben ist manchmal ein Makel geworden. Manchmal wird impliziert, man hätte was falsch gemacht, wenn man erkrankt.

    Viele Grüße und Kopf hoch an alle
    Stiefelkind

  6. Corona ist leider ein Katalysator für viele Soziale Themen und Ungleichgewichte. An sich gehen wir relativ gestärkt in die aktuelle Winterphase, da wir im Sommer vieles nachgeholt haben und viel unterwegs waren mit Urlaub und Tagesausflügen, da bereits absehbar war das es in diesem Winter wieder so wird, und vielleicht dies auch in den nächsten sein wird.

  7. Danke!!! Kind mit Fieber zuhause und positive Fälle in der KiTa. Einziger Lichtblick, da ein Stück Normalität, Kinderturnen einmal in der Woche, nun auch noch abgesagt. Kleinigkeiten die einen zum Ausrasten bringen. Corona zermürbt, es wäre so gut die Alus mal wieder aufzuladen.

  8. Wie geht es mir gerade? Ich BIN müde, genervt und sorgenvoll, aber auch dankbar. Dankbar, dass wir (bis jetzt) nicht krank geworden sind bis jetzt (in der Familie), dankbar, dass wir nicht unter Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit leiden.
    Und anscheinend bin ich realistischer, ich habe mich auf keine Dinge gefreut, die nun ganz anders und besser werden. Mein Kind ist schwer chronisch krank und war von November 2020 bis August 2021 nicht in der Schule. Als wir im Sommer mit den Ärzten in der Uniklinik sprachen, ob es wieder gehen kann, sagte der Arzt :“Frau Blüte, im Herbst werden die Zahlen explodieren und wir werden neue Mutationen bekommen, wenn Sie das Kind JETZT nicht schicken, schicken Sie es nie mehr.“ Das war im Juli 2021.
    Ich konzentriere mich auf das, was geht und nicht auf das, was nicht geht. Noch darf das Kind unter Auflagen in die Schule, das ist besser als letztes Jahr um diese Zeit. Solche Dinge, alles andere zieht sowieso runter, so komme ich von Tag zu Tag. Mehr geht halt nicht im Moment.

  9. Hm, ich kann das nicht nachvollziehen. Bei uns sind alle drei Kinder seit den Sommerferien stabil in Kita und Schule. Keine einzige Quarantäne. Und wenn eine kommt, packen wir das gut, denn die digitale Lernplattform ist jetzt gut bekannt und eingespielt. Alle Freizeitaktivitäten, vom Chor über den Schwimmkurs und die musische Vorschule finden ganz normal statt. Ich habe keine Angst vor einer Infektion meiner Kinder, sie sind genesen, Corona ist mild verlaufen. Wer Sorge hat, kann jetzt seine Kinder impfen lassen. Es gibt keinen einzigen Fall von einem schweren Corona Verlauf bei geimpften, die nicht sehr alt oder schwer vorerkrankt waren. Also man muss das ganze auch mal realistisch betrachten. Es ist nicht Ebola. Wir können uns inzwischen mit Masken und Tests gut schützen. Wir müssen endlich mal anfangen, gelassen mit der Situation zu leben. Ja, auch bei uns ist unsicher, ob das Weihnachtskonzert und der Ski Urlaub stattfinden können. Aber mal ehrlich, das sind doch Sorgen auf sehr hohem Niveau.

  10. Danke für euren Beitrag!
    Heute erst habe ich dieses Emoji benutzt um meinen aktuellen Gemütszustand zu beschreiben, bin ich während des Telefonats mit der Lehrerin unserer ältesten Tochter in Tränen ausgebrochen, weil mich der ständige Entscheidungskampf und die Sorgen so zermürben. Heute erst habe ich meine vier Kinder, die momentan alle zu Hause sind, angeschrien, weil ich keine Nerven mehr hatte. Mir fehlt die Solidarität, welche ich noch im ersten Lockdown gespürt habe sehr….es ist schön sich nicht allein zu fühlen. Danke!

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