Querschnittslähmung nach OP: Ich vermisse es so, mit meinen Kindern zu toben

Querschnittslähmung

Foto: Pixabay

Ihr Lieben, neulich bin ich zufällig auf den Instagram-Account von Anni und Sven gestoßen, der Account heißt Wheelchaircouple. Dort berichten die beiden davon, wie sich ihr Leben seit der Querschnittslähmung von Sven verändert hat. Die Ehrlichkeit der beiden hat mich sehr berührt und ich habe sie gefragt, ob sie nicht Lust auf ein Interview bei uns hätten. Zum Glück für uns hatten sie Lust und erzählen uns hier ihre Geschichte. Vielen Dank dafür und alles Liebe!

Liebe Anni, lieber Sven, im Oktober 2022 hat eine OP euer aller Leben verändert. Bitte erzählt uns, was für eine OP das war und was passiert ist.

Sven:  Ich habe eine AVM (Arteriovenöse Malformation) im Rückenmark. Ein Kurzschluss zwischen Arterie und Vene, wodurch der hohe Blutdruck der Arterie in die Vene gelangt und die Vene auf dadurch über die Jahre immer dicker wird. 

Im Rückenmark drückt diese Vene dann die Nerven ab. Leider bilden sich über Jahre immer neue Kontaktpunkte zwischen Arterie und Vene aus, wodurch das Gefäßbild, bis es letztendlich Probleme gemacht hat, unglaublich komplex und schwer zu durchblicken war. 

Ich wurde in den letzten Jahren häufig untersucht und operiert, man konnte immer Symptome lindern, hatte aber nicht geschafft den Hauptkurzschluss ausfindig zu machen. Nach erneuten vielen Untersuchungen hat man diesen nun ausfindig gemacht, leider wurde bei dieser OP auch die Hauptblutversorgung des Rückenmarks unterbrochen, wodurch der Querschnitt zustande kam.

Dem Arzt kann man keine Vorwürfe machen und ich würde mich jederzeit wieder in Behandlung von diesen Ärzten geben. Die OP war ein Drahtseilakt, es gab mehrere starke Blutungen aufgrund der Dicke und Menge an fehlgebildeten Gefäßen (allein in dieser OP wurden 16 Gefäße im Rückenmark geschlossen). 

Könnt ihr uns sagen, wann ihr die Diagnose Querschnittslähmung das erste Mal gehört habt?

Anni: Das Wort „Querschnittlähmung“ wurde mir gegenüber erst sehr spät gesagt, ich glaube erst in der Reha, also nach 4 Wochen. Die Ärzte wussten zu Beginn auch selber gar nicht, was genau das alles zu bedeuten hat. Direkt nach der Operation wurde ich vom operierenden Chefarzt angerufen, der mich mit den Worten „So…. Jetzt haben wir die OP also gemacht“ begrüßte.

Da war mir sofort klar, dass etwas nicht in Ordnung sein kann. Er erklärte mir dann, dass nach dem Clippen des 15. oder 16. Gefäßes die neurologischen Signale der Beine plötzlich nicht mehr vorhanden waren.  Sie wussten aber auch nicht, ob das eventuell durch ein Hämatom hervorgerufen wurde, ob das nach ein paar Stunden wieder weggeht.

In der Nacht konnte ich dann noch mit Sven telefonieren, der mir mit einer unfassbaren Ruhe und Ausgeglichenheit sagte, er könne seine Beine weder spüren, noch bewegen. Ich weiß noch genau, wie ich zwar am Boden zerstört war, aber seine Ruhe hat sich irgendwie auf mich übertragen. So richtig bewusst wurde mir diese Diagnose dann ehrlich gesagt erst im Sommer 23, also nach knapp 9 Monaten.

Und wie ging es dir dann damit?

Anni: Also nach 9 Monaten kam ich langsam aus dieser Schockstarre und aus dem „ich-muss-funktionieren-Modus“. Da brach für mich dann unsere Welt zusammen, weil mir da erstmal so richtig bewusst wurde, was das jetzt für Auswirkungen auf unser Leben haben wird. Werden wir das wirklich alles schaffen? Kann und will ich diese riesigen Einschränkungen mein Leben lang auf mich nehmen? Das ist ja schließlich nichts „Kurzfristiges“, was bald wieder vorbeigeht. 

Und wie war das bei dir, Sven?

Sven: Kurz nach der OP wurde ich wach gemacht, um ein Notfall MRT zu machen. Hier hat man erhofft, einen Infarkt (praktisch ein Schlaganfall im Rückenmark) oder eine starke Schwellung festzustellen, wodurch der Querschnitt zustande kam. Als ich wach wurde sagte man mir, dass ich meine Beine nicht mehr bewegen könnte und dringend untersucht werden muss. Ich müsste allerdings noch kurz warten. 

Hier sagte ich nur „keine Sorge, ich renne ihnen nicht weg“. Die Diagnose löste also weder Angst noch Panik in mir aus. Generell war ich die die ersten Tage nach der OP sehr müde. Die eigentlichen Auswirkungen kamen 3 Wochen später in der Reha langsam durch. Und ganz konkret erst, als ich wieder zu Hause war. Dabei ist die fehlende Bewegung das kleinste Problem.

Probleme in der Temperaturregulierung der Beine, kein Gefühl für Blase und Darm mehr zu haben, dafür aber Nervenschmerzen und Spastiken im Bereich des Querschnitts zu haben, erschwerten den Alltag enorm. Der Wegfall von jedem Hobby, welches ich gerne gemacht habe und das Fehlen von kleinen Umarmungen tagsüber erschweren den Alltag sehr. Angenommen habe ich das Schicksal dadurch noch nicht komplett. Es ist nach dem ersten Jahr schon deutlich besser geworden aber an gewissen Tagen oder in besonderen Momenten, ist es nach wie vor unglaublich schwer. 

Wie habt ihr euren Kindern von der Lähmung erzählt und wie haben sie darauf reagiert?

Anni:  Ich habe den Kindern schon sehr schnell und kindgerecht erzählt, dass Papa jetzt im Rollstuhl sitzt und habe versucht, es ihnen so schön wie möglich zu reden. Dass sie dann mit ihm mit dem Fahrrad ein Wettrennen fahren können, oder wenn wir spazieren gehen und sie keine Kraft mehr haben, auf seinem Schoß sitzen und von ihm gefahren werden.

Das erste Mal haben die beiden ihren Papa erst 4 Wochen nach der OP gesehen. Die Kleine hatte erstaunlicherweise überhaupt keine Berührungsängste, ist sofort auf den Rollstuhl geklettert und hat die durch die Spastik zitternden Beine beruhigen wollen. Die Große war etwas zurückhaltender, aber insgesamt haben sie beide den Rollstuhl sofort akzeptiert. 

Was macht ihr beide beruflich und wie hat sich das seit dem Unfall verändert?

Anni:  Ich bin Ergotherapeutin und war zum Zeitpunkt der OP gerade nach meiner Elternzeit in einer neuen Praxis angestellt. Leider hatte ich kein so großes Glück mit meiner Chefin, denn nachdem meine kleine Tochter für zwei einzelne Tage krank wurde, legte sie mir nahe, mich bitte freistellen zu lassen, da sie mich nicht immer vertreten möchte. (Ich bin nach der OP sofort wieder arbeiten gegangen, fehlte also wirklich nur diese zwei einzelnen Tage…)

Letztendlich war das dann aber auch in Ordnung, denn so konnte ich mich ohne schlechtes Gewissen um die Kinder kümmern, und später dann auch um Sven, der ja täglich zu Arzt- und Therapieterminen gebracht werden musste. Sobald wir hier den Treppenlift haben und Sven alleine die Wohnung verlassen kann, geht dann hier auch arbeitstechnisch hoffentlich alles wieder seinen normalen Gang. 

Sven: Ich habe Biologie studiert und arbeite in einer Pathologie. Ich habe dort halbtags gearbeitet und bin gerade dabei, meinen Arbeitsplatz hoffentlich umbauen zu lassen, damit ich meine Arbeit wieder aufnehmen kann. Ab jetzt nur noch zu Hause zu sitzen kommt für mich nicht in Frage. Aber bis dahin bin ich aktuell noch krankgeschrieben. 

Lieber Sven, du warst ja vor dem Unfall sehr sportlich, hast Triathlon gemacht. War dieser Wegfall des Sportes eines der schlimmsten Veränderungen für dich? Und wie hältst du dich heute fit?

Neben ca. 1000 Dingen, die mir fehlen, gibt es drei ganz große Punkte: Zum einen fehlt mir Sport sehr im Leben. Gerade das Radfahren vermisse ich unsterblich doll. Das waren mit einer der schönsten Momente in meinem Leben, wenn ich in der Abendsonne mich aufs Fahrrad schwinge und einige Kilometer alleine durch die Natur gefahren bin. Das war ein ganz besonderes Gefühl der Freiheit für mich. Den Wind zu spüren und nur das Geräusch des Fahrrads zu hören hatte nach einigen Kilometer eine ganz besondere Wirkung auf mich.

Darüber hinaus vermisse ich nicht weniger schmerzlich das gemeinsame Standard- und Lateintanzen mit meiner Frau. Das haben wir einmal in der Woche gemacht und hinterlässt auch ein großes Loch. Ein Hobby so gemeinsam ausüben zu können, sich dabei nah zu sein und gemeinsam zu lachen, vermisse ich genau so wie den Sport.

Auch mit meinen Kindern gemeinsam draußen fangen zu spielen oder auf dem Spielplatz mit ihnen zu klettern, vermisste ich sehr. Das sind drei große Pfeiler in meinem Leben, die es so nicht mehr gibt und wirklich starke Schmerzen in meinem Herzen hinterlassen. Eine Alternative dafür habe ich auch noch nicht gefunden bzw. tu mich auch schwer, mich auf neue Sachen einzulassen. 

Liebe Anni, wenn man einen geliebten Menschen so leiden sieht – was macht das mit einem? Wie hast du dich gefühlt?

Ich glaube, das ist das Allerschlimmste an allem. War es schon im Krankenhaus, aber ist es auch heute noch. Jedes Mal, wenn Svens Nervenschmerzen so schlimm sind, dass nicht mal das T-Shirt an die Haut kommen darf. Wenn die Spastik im Bein so extrem ist, dass er sich im Bett nicht mal mehr drehen kann. Und ich so völlig hilflos bin, weil ich nichts machen kann, was ihm hilft. Obwohl das doch eigentlich das Einzige ist, was ich will. Das bricht mir jedes Mal aufs Neue mein Herz. 

Wie reagiert das Umfeld in so einer Extremsituation? Gab es viel Unterstützung oder gab es auch Sätze/Bemerkungen, die wehgetan haben?

Anni:  Extremsituation trifft es wirklich gut. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Gefühlt überwogen aber irgendwie die negativen Reaktionen. Manche melden sich gar nicht mehr, vermutlich, weil sie nicht wissen, was sie sagen oder machen sollen. Wir haben sogar Nachbarn, mit denen wir früher viel Kontakt hatten, die seitdem noch kein einziges Wort mit uns gesprochen haben. Wenn die uns sehen, wechseln sie die Straßenseite. 

Wir hören recht häufig den Satz „Ein Glück hat das euch getroffen. Alle anderen würden das nicht überstehen.“. Wir wissen, dass der Satz eigentlich irgendwie nett gemeint ist. Aber der tut echt verdammt weh. Warum haben wir in deren Augen nicht das Recht auf ein Leben ohne solch einen Schicksalsschlag? Was bleibt uns denn anderes übrig, außer weiterzumachen? Was hat das mit Glück zu tun, dass wir diese ganze Scheiße durchstehen müssen? 

Sven: Die meisten Menschen haben Angst vor schlechten Nachrichten und fragen dadurch lieber gar nicht nach oder wissen nicht, was sie sagen soll. Nach dem Querschnitt dagegen haben sich allerdings viele Menschen bei mir gemeldet und gefragt, wie es mir nun geht. Das Interesse war relativ hoch, dadurch, dass die Auswirkungen so massiv sind. Es sprach sich rum und jeder wollte hören, wie ich mich nun anstelle. 

Das Interesse riss aber relativ schnell ab, als ich nach Hause kam und den gesamten Sommer über hat sich niemand gemeldet (mit drei kleinen Ausnahmen). Das war eine sehr harte Zeit, gerade auch, weil die Beziehung in dieser Zeit sehr gelitten hat und meine Frau sonst immer meine große Stütze ist. So einsam habe ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt und ich steckte tief in einem schwarzen Loch. Diese Zeit war bis jetzt deutlich schlimmer als wach zu werden und die Nachricht des Querschnitts zu erhalten.

Du hast es eben schon angedeutet: Wir hat sich die ganze Situation auf eure Beziehung ausgewirkt?

Querschnittslähmung

Wir hatten zum Glück immer eine wahnsinnig harmonische Beziehung. Haben immer versucht, dass es dem jeweils anderen gut geht und dafür auch mal zurückgesteckt. Das hat sich ein bisschen geändert, denn das Zurückstecken ist zu einseitig geworden. Vor allem im Sommer mussten wir sehr kämpfen. Da waren wir für ein paar Wochen kein Team mehr, sondern da war jeder von uns für sich, weil wir einfach beide so wahnsinnig unglücklich waren und uns beiden die Kraft fehlte, auch noch für den anderen stark und da zu sein. Es gibt immer wieder solcher Momente, aber bei weitem nicht mehr so schlimm wie im letzten Sommer.  

Was wünscht ihr euch für die Zukunft? 

In erster Linie wünschen wir uns, dass die Kinder später auf diese Zeit zurückblicken und sagen können, dass die Zeit zwar furchtbar schlimm war, aber sie trotzdem eine glückliche Kindheit hatten. Und dann wünschen wir uns natürlich, dass unsere Beziehung dieser Belastung wirklich dauerhaft standhält und wir wieder richtig glücklich werden, so wie früher. 

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4 comments

  1. Lieber Sven, liebe Annie,
    eure Ehrlichkeit macht einem wirklich Mut. Dass euch der Satz „Ein Glück hat das euch getroffen. Alle anderen würden das nicht überstehen.“ trifft, verstehe ich voll. Mein Enkelkind ist seit Geburt an Querschnittsgelähmt und häufig kam der Satz „Toll, wie super er damit umgeht. Vielleicht ganz gut, dass es von Geburt aus war, so vermisst er nichts.“ Ich weiß Leute meinen es nicht so, aber es bringt einem trotzdem nichts im Moment. Mein Mann und ich haben dann auch unser Umfeld barrierefrei gestalten, als er größer wurde. Zum Glück hatten wir beide auch einen Anspruch auf einen Treppenlift-Zuschuss. So kann er uns immer besuchen und sich frei bewegen, wie seine Geschwister. Viele Freunde von meinem Sohn, seinem Vater, haben sich damals auch distanziert, da sie nicht wussten, wie sie damit umgehen sollen und auch überfordert waren. Das war am Anfang für ihn sehr schwer, da er aber so einen tollen Sohn dazubekommen hat, der sein Leben so mit Freude und Liebe füllt, konnte er den Verlust von ein paar „Freunden“ vertragen.
    Ich wünsche euch beiden auf jeden Fall nur das Beste!
    Alles Liebe
    Silke

  2. Hallo ihr beiden
    Danke für eure Ehrlichkeit. Ich finde es sehr schade das ihr nicht mehr Unterstützung erfahren habt und euch manche Menschen aus dem Weggehen. Das ist für mich immer nur schwer zu begreifen warum Leute sich so verhalten. Gibt es vielleicht Sportangebote für Rollstuhlfahrer in der Nähe?
    Euer Weg ist nicht einfach aber ich wünsche euch ganz viel Kraft und Energie. Ihr werdet euren Weg finden auch wenn es vielleicht noch etwas dauern wird.
    Alle alles gute!

  3. Lieber Sven, liebe Annie,

    ich wünsche euch alles erdenklich Gute auf diesem so schweren Weg, der euch aufgebürdet wurde. Ich wünsche euch ganz viel Kraft und hoffe, dass ihr neue Dinge und Menschen, die euch helfen.

    Liebe Grüße
    JoJo

  4. Was mir beim Lesen so durch den Kopf geht: Gibt es nicht so Anbauteile für den Rollstuhl, dass das ein Handfahrrad wird? Ich könnte mir vorstellen, dass die abendlichen Fahrausflüge, aber auch Triatlon damit genauso gut funktionieren.
    Zu der Sache mit dem Toben, kann ich dir nur den Tipp geben, einfach Dinge durchzuprobieren. Bei uns hat jeder eine Beeinträchtigung, aber der Mix macht es gut für die Kinder: Oma ist nicht mehr mobil -> Lego/Züge, ich tue mich durch den Autismus schwer mit Rollenspiel -> Bewegung/Basteln, meine Schwester macht gerne Ausflüge.
    Und auch ein gemeinsames Basketballspiel im Park ist bestimmt toll und bringt den Tobefaktor ein 🙂

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