„Vor lauter Sorge um mich, entwickelte meine Tochter eine Angststörung“

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Ihr Lieben, wir können es gar nicht oft genug sagen, wie dankbar wir für euer Vertrauen sind. Dass ihr uns eure Geschichten erzählt, ist so wertvoll. Denn es zeigt anderen Familien, dass sie nicht alleine sind, es macht Mut und tröstet. Heute erzählt uns Annalena von sich und ihrer Tochter Maja. Beide haben harte Monate und Jahre hinter sich. Doch nun geht es aufwärts. Wir drücken euch fest die Daumen für euren weiteren Weg.

Liebe Annalena, es geht heute um deine 13-jährige Tochter Maja. Sie war gerade fast drei Monate in stationärer Behandlung wegen einer Angststörung. Wann sind diese Ängste das erste Mal aufgetreten und wie äußern sie sich?

Die Ängste haben angefangen, als unsere Tochter in der zweiten Klasse war. Die letzten eineinhalb Jahre ist sie nun nicht mehr zu Schule gegangen, weil die Pandemie diese Ängste so verschlimmert haben.

Der Auslöser war eine Situation im Sommer, als meine Tochter eben in der 2. Klasse war. Wir waren in unserem Stadtpark mit vielen Eltern und den Kindern auf einem Live-Konzert. Wir Eltern hatten den Kindern erlaubt, auch mal alleine eine Runde zu drehen und sich an einer der Buden etwas zu essen zu holen.

Abgemacht war, dass sie nach etwa zehn Minuten wieder da sein sollen. Das hat gut geklappt, die Kinder streiften umher, kamen dann wieder. Meine Tochter wollte dann mit ihrer Freundin eine letzte kleine Runde gehen. Als sie nach einer halben Stunde noch nicht wieder da war, haben wir uns langsam Sorgen gemacht. Es war mein Geburtstag, wir wollten eigentlich auch los, weil abends noch Freunde zu Besuch kommen wollte.

Mein Mann und ich sind also über das Gelände gelaufen und haben sie gesucht. Nach zwei großen Runden über das Gelände waren die beiden immer noch verschwunden. Unsere Freunde und deren Kinder fingen auch an zu suchen, ohne Erfolg. Das Gelände war in Nähe einer Bundesstraße, ich malte mir das Schlimmste aus.

Mein Mann ging auf die Bühne und bat alle Anwesenden, nach den beiden Mädchen Ausschau zu halten. Wir teilten uns in alle Himmelsrichtungen auf, telefonierten, es war der absolute Albtraum. Mittlerweile war über eine Stunde vergangen und wir entschieden, die Polizei zu rufen. Genau als ich das Handy in die Hand nahm, kam Pauline mit ihrer Freundin und deren Großeltern um die Ecke.

Was für ein Schock und was für eine Erleichterung….

Als ich die Kinder gesehen habe, bin ich zusammengebrochen, bin auf die Knie gefallen und hab sie nur noch an mich gedrückt. Ich habe völlig hyperventiliert, so dass der Krankenwagen kommen musste. Maja hat das natürlich gar nicht verstanden und hat nur gesehen, wie schlecht es mir geht. Sie hat dieses Erlebnis abgespeichert: Wenn ich nicht da bin, geht es Mama schlecht. Und so war das Angst-Problem geboren und hat sich dann langsam verschlimmert.

Wann genau kamen dann bei Maja die ersten Anzeichen?

Die ersten Anzeichen kamen dann zwei Wochen nach dem Vorfall im Park. Meine Eltern wohnen ca. fünf Stunden von uns weg und Maja sollte das erste Mal für eine Woche bei meinem Eltern Ferien machen. Mein Mann und ich sind beide berufstätig und haben nicht so viel Urlaub, deshalb sollten die Großeltern einspringen.

Schon beim Abschied hat sie sehr geweint, am nächsten Tag bekam sie Bauchschmerzen und hat gespuckt. Sie konnte kaum essen und trinken, weil sie nichts bei sich behalten konnte. Nach drei Tagen haben meine Eltern sie dann nach Hause gebracht. Dann war alles wieder normal. Sie wollte aber nirgendwo anders mehr übernachten, was vorher nie ein Problem gewesen war. Und immer wenn ich mal einen Tag auf Dienstreise war, bekam sie abends Bauchweh und Krämpfe und spuckte morgens.

Wann habt ihr dann endgültig gemerkt, dass es mehr ist als bloß „ein bisschen Angst haben?“

Als es in der 3. Klasse auf Klassenfahrt gehen sollte. Zwei Wochen vor der Reise wachte sie jeden Morgen um fünf Uhr auf, hatte Bauchkrämpfe und würgte Galle. In Rücksprache mit den wirklich tollen Lehrern beschlossen wir, dass sie trotzdem versuchen sollte, mitzufahren. Wir hofften, so eine Gemeinschaftsfahrt würde ihr helfen, ihre Ängste zu überwinden. Tatsächlich hat sie dann eine Woche durchgehalten, auch wenn es ihr zwischendurch nicht gut ging. Die Lehrer und Freunde haben sie in dieser Zeit aber toll unterstützt und ihr zur Seite gestanden.

Als sie wieder da war, dachten wir, dass es nun besser geht. Doch in unserem gemeinsamen Urlaub ging es wieder los, sie hat gespuckt bis zur völligen Erschöpfung. Wir sind im Urlaub zu einem Arzt, mussten alle zwei Tage zur Untersuchung kommen. Wieder zu Hause wurden wir vier Tage in ein Krankenhaus eingewiesen, um alle organischen Dinge abzuklären – mit dem Ergebnis, dass nichts Organisches dahinter stecken kann. Der Psychologe kam dann zu dem Schluss, dass ihr Leiden wohl psychosomatisch sein muss.

Und wie bist du mit all dem umgegangen?

Ich war die letzten Jahre gesundheitlich ziemlich angeschlagen, habe aber leider nicht auf den Rat meines Arztes gehört, etwas kürzerzutreten. Ich habe gern und viel gearbeitet. Alles, was ich mache, mache ich zu 100% und natürlich bin ich auch die berufstätige Mutter, die noch zwei Kuchen für die Schule backt und sich bei allem freiwillig meldet.

Im Sommer 2020 habe ich den Entschluss gefasst, meinen Job zu kündigen, weil ich einfach nicht mehr konnte: Die Problematik mit meiner Tochter, mein Job, die Pandemie, das war alles zu viel. Ich bin irgendwann über den Spruch gestolpert: Zeit bekommt man nicht… Zeit muss man sich nehmen! Da habe ich gemerkt, dass mir nichts mehr Spaß macht, ich nichts mehr gerecht werde – und der Entschluss stand fest.

Wann und warum war klar, dass eure Tochter in stationäre Behandlung geht und welche Hilfe bekommt sie da genau?

Nach dem Krankenhausaufenthalt haben wir eine Therapeutin mit ins Boot geholt, weil Majas Symptome nun täglich da waren und wir wussten, dass es so nicht weitergehen kann. Sie hat dann eine stationäre Therapie vorgeschlagen.

Wie hat sich Maja in der Klinik verändert?

Maja hat viel mehr Selbstbewusstsein bekommen. Sie kennt nun ihre Bedürfnisse und weiß, dass sie nur funktioniert hat und immer das Gefühl hatte, auf mich aufzupassen zu müssen. Dass das Erlebnis im Park der Auslöser für alles war, haben wir in der Therapie herausgefunden. Sie hat gelernt, dass sie sich nicht zu sehr mit uns beschäftigen darf, dass sie sich keine so großen Sorgen um mich machen sollte. Maja wollte uns nicht mehr zu Last fallen, hat sich darüber komplett vergessen und war vier Jahre lang kein Kind mehr.

Wie geht es ihr ganz aktuell?

Maja ist seit zwei Wochen zu Hause und geht wieder zur Schule. Die Bauchschmerzen sind nur noch minimal bis gar nicht da. Wir können es noch immer nicht glauben.

Was wünscht du dir für die Zukunft? 

Wir wünschen uns, dass sich für Maja alles wieder einpendelt und dass sich einfach wieder alles „normal“ anfühlt. Für mich weiß ich nun, dass es nicht so wichtig ist, im Job erfolgreich zu sein, dass es nicht wichtig ist, immer nur abzuliefern und zu funktionieren. Ich wünsche mir, die richtige Balance zu finden, beruflich etwas zu machen und genug Zeit für die Familie und für mich selbst zu machen. Ich wünsche mir einfach, dass wir unser Leben wieder mehr genießen können.

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1 comment

  1. Ich wurde letztes Jahr mit dem Krankenwagen abgeholt, als mein Sohn nicht da war. Dass er heimkam und Mama war im Krankenhaus war ganz schlimm für ihn. Dazu kam, dass keine Besuche erlaubt waren. Er hat mich danach noch monatelang bei jeder Kleinigkeit gefragt, ob ich wieder ins KH muss. Das saß tief.
    Alles alles Liebe für Euch!!

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