Mein Name ist Ulli und ich erzähle Euch heute meine Familiengeschichte. Mein Freund Ben und ich waren gerade mitten im Studium und wir hatten das Gefühl, die ganze Welt steht uns offen. Wir waren voller Euphorie, voller großer Pläne und voller Glück. Wir beschlossen gemeinsam einen Schritt weiter zu gehen. Wir wollten Eltern werden. Doch der Weg zu einer eigenen Familie wurde ganz anders, als wir ihn uns vorgestellt hatten…
Wie alle jungen, gesunden Menschen gingen wir davon aus, dass ich schnell schwanger werden würde. Doch leider war dem nicht so. Es stellte sich heraus, dass ich das Polyzystische Ovarsyndrom (PCO) habe. also nur ganz selten einen Eisprung habe. Die Gynäkologin sagte es deutlich: "So einfach wird das nicht bei ihnen mit dem Kinderkriegen."
Wir beschlossen, uns davon nicht unterkriegen zu lassen. Wir schauten auf die Temperatur, um zu erkennen, wann dieser seltene Eisprung denn endlich da war. Zusätzlich verschrieb mir ein anderer Arzt Hormontabletten, der den Eisprung anregen sollte. Schwanger wurde ich trotzdem nicht.
Ich unterzog mich einer Bauch- und Gebärmutterspiegelung, die jedoch zeigte, das alles dort ok war. Dann sollte Ben ein Spermiogramm machen lassen, zwei Wochen später stellte sich heraus, dass die Qualität der Samen so schlecht war, dass die Chance auf natürlichem Weg schwanger zu werden wird mit einem 6 er im Lotto gleichgesetzt wurde.
Das war ein riesen Schock für uns. Wir dachten, ein Baby zu zeugen sei ein höchst intimes Anliegen in Zweisamkeit, jetzt war klar: Wir waren auf Hilfe von außen angewiesen. Doch hier der nächste Schock: Wir waren beide noch unter 25 – und stand uns keine Kostenübernahme durch die Krankenkasse für eine künstliche Befruchtung zu. Es hieß, wir hätten vier Jahre warten müssen, weil wir das Verfahren nicht selbst zahlen konnten – für uns unvorstellbar.
Tatsächlich fanden wir eine Krankenkasse, die damals als Zusatzleistung auch für unter 25jährige einen Teil der hohen Kosten übernehmen. Uns so starteten wir den ersten Versuch – alle Ärzte waren zuversichtlich. Leider klappte es nicht beim ersten Mal und auch der zweite Versuch endete mit einer Enttäuschung.
Wir versuchten es drei Jahre lang und hatten insgesamt 6 künstliche Befruchtungen in Deutschland und Österreich. Das brachte uns zum einen finanziell ans Limit (nur drei Versuche werden anteilig erstattet), aber vor allem auch emotional. Wieso wir, fragten wir uns. Warum ist das so unfair? Ich wollte nur noch alleine sein, niemanden mehr sehen. Ich wollte nichts mehr hören, kein Mitleid, keine aufmunternden Worte. Ich konnte nicht mehr.
Irgendwann waren wir an dem Punkt, an dem wir merkten, dass wir keine Hoffnung mehr haben. Wir wagten einen letzten Versucht, aber sagten uns schon vorher: Das wird eh nichts.
Als wir das realisierten, beschlossen wir, mit dem Ganzen erstmal aufzuhören. Wir waren am Ende, mussten uns erstmal neu sortierten und Kraft sammeln. Für ca. 1 Jahr ließen wir es einfach laufen, kümmerten uns um nichts, was mit dem Thema Kinderwunsch zu tun hat und beschäftigten uns mit anderen Dingen.
Irgendwann las ich einen Artikel zum Thema Adoption. Sollte das vielleicht unser Weg sein? Relativ spontan gingen wir zu einer Infoveranstaltung. Danach brauchten wir weitere sechs Monate, um uns sicher zu sein, dass wir uns eine Adoption vorstellen können und begannen, das Kennenlernverfahren zu durchlaufen.
Wir hatten das Gefühl, dass alle freudig überrascht waren und wurden zügig zu dem Prüfverfahren eingeladen. In diesem Verfahren wird man komplett durchleuchtet: Es gibt viele Gespräche, Hausbesuche, die Überprüfung unserer Lebenssituation und unserer Beweggründe, unserer finanziellen Situation. Unsere Sachbearbeiterinnen waren sehr nett und trotzdem empfanden wir es immer mal wieder als absolut unfair, dass Hinz und Kunz Kinder in die Welt setzen kann und darf – dass Menschen Kinder bekommen und sie dann nicht gut versorgen – und wir müssen ganz genau erklären, wieso wir Kinder möchten und wie wir für sie sorgen werden. Andererseits verstehen wir natürlich, dass die Adoptionsvermittlungsstelle eine große Verantwortung hat und gewissenhaft prüfen muss, wem sie ein Kind anvertrauen.
Nach etwa 8 Monaten waren wir dann stolze fertig geprüfte Adoptionsbewerber und ab diesem Zeitpunkt hieß es warten. Klar war: Wir könnten nun von jetzt auf gleich Eltern werden. Wenn ein Baby geboren wird und sich die leiblichen Eltern für eine Adoption entscheiden, sollten wir angerufen werden – wenn das Baby auch zu uns "passt". Es konnte aber auch gut sein, dass dieser Anruf erst in Monaten oder gar Jahren kommt….
Die Monate vergingen und wir versuchten unser Leben so gut es geht zu genießen, ohne ständig an den Anruf zu denken. Ich ging ganz normal weiterarbeiten und an einem Tag wollte ich gerade Mittagspause machen, als ich auf mein Handy schaute. Darauf: ein verpasster Anruf von der Adoptionsstelle und etwa 10 verpasste Anrufe von meinem Mann, außerdem eine Nachricht von ihm, dass ich ihn schnell anrufen soll.
Ich rief meinen Mann an und er sagte, dass sie Adoptionsstelle uns nächste Woche treffen will, um einen "konkreten Fall" zu besprechen. Die Woche Warten erschien uns endlich, dann endlich fand der Termin endlich statt. Unsere Sachbearbeiterin erzählte uns, dass sich eine schwangere Frau gemeldet und um Hilfe gebeten habe. Sie hätten mit ihr alle Möglichkeiten durchgesprochen und ihr Hilfe vorgeschlagen, aber die Frau sei bei ihrer Entscheidung geblieben. Sie wolle für ihr Baby nur das Beste, ein Leben in Geborgenheit, in Liebe und in Sicherheit. Sie würde wollen, dass ihr Baby so gut umsorgt wird wie es nur geht, damit es die Möglichkeit hat ein gesunder, glücklicher Mensch zu werden. Sie selbst sähe sich nicht in der Lage, das alles ihrem Baby zu ermöglichen und hätte sich deshalb für eine Adoption entschieden.
Ich weiß, dass einige Frauen denken, es sei etwas Schlechtes, sich gegen sein Kind zu entscheiden. Ich finde, diese Frau hat sich FÜR ihr Kind entschieden, nämlich FÜR ein gutes Leben für ihr Kind. Ich finde, dass sie Verantwortung übernommen hat, sie wollte ihr Baby nicht verwahrlosen lassen – oder es im schlimmsten Fall in der Mülltonne entsorgen. Sie hat erkannt, dass sie aus verschiedenen Gründen ihr Baby nicht so umsorgen und lieben kann, wie sie es ihrem Baby wünscht und deshalb Menschen suchen lassen, die das alles geben können und wollen.
Wir bekamen die ganze Geschichte erzählt, die Beweggründe der Mutter, die Vorgeschichte, die professionelle Einschätzung. Nach einer Nacht obligatorischer Bedenkzeit riefen wir an und teilten mit, dass wir uns mit der Geschichte, dem Baby und der leiblichen Mutter verbunden fühlen und gerne Teil davon sein möchten.
Bis zur Geburt waren noch wenige Wochen Zeit. Wir waren nun also schwanger. Wir besorgten ein paar Dinge, die wir für den Anfang benötigten, teilten unseren Arbeitgebern die Neuigkeiten mit und beantragten Elternzeit.
Und dann kam der Tag X. Das Kind sollte per Kaiserschnitt zur Welt kommen. Wir standen im Raum direkt neben dem OP und warteten dort mit den Kinderärzten auf das Baby. Die leibliche Mutter entschied sich, ihr Baby nach der Geburt nicht sehen zu wollen. Sie fürchtete, der Anblick könnte sie umstimmen, sie emotional werden lassen. Sie wollte es sich nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon war. Wir wissen, dass sie ihr Baby liebt – und genau deshalb hat sie so gehandelt.
Wir hörten den ersten Schrei und bekamen kurz darauf ein kleines, kerngesundes Baby in den Arm gelegt. So viel Glück, Freude und Verbundenheit auf der unserer Seite – so viel Trauer, Angst und Verlust auf der Seite der leiblichen Mutter. Es war ein Balanceakt, den unsere Sachbearbeiterin auf beiden Seiten wundervoll begleitete. Sie war für uns alle da und kümmerte sich um uns alle.
Wir bekamen einen eigenen Kreissaal, konnte ganz in Ruhe bonden und stillen. Ja stillen – wir hatten uns das gewünscht und uns entsprechend vorbereitet. Ja, auch Adoptivmütter können stillen. Als wir das Krankenhaus verließen, gingen wir als Familie. Was für ein wunderschönes Gefühl.
Bevor das Baby auf der Welt war, machte ich mir viele Gedanken um die ersten Wochen mit Kind – denn die leiblichen Eltern dürfen frühestens 8 Wochen nach der Geburt rechtsbindend unterschreiben, dass sie ihr Kind „freigeben“. Vorher ist es nur eine Absichtserklärung und sie dürfen jederzeit ohne Begründung ihre Entscheidung zurücknehmen.
Jetzt, wo das Baby bei uns war, dachte ich ganz wenig an diese Umstände. Wir vertrauten unserer Sachbearbeiterin, den leiblichen Eltern und dem Universum. Als die 8 Wochen vorbei waren, blieben die leiblichen Eltern bei ihrer Entscheidung und unterschrieben alles. Es konnte ab nun also nichts mehr passieren, es war klar, dass das Baby, das seit Beginn auf unserer Brust gelegen hatte, bei uns bleiben kann. Und zwar für immer. Eine Liebe, die wir nie zuvor verspürt hatten, durchströmte Tag für Tag unsere Körper.
Es fühlte sich von Beginn an ganz normal an, wir leben wie die meisten Familien auch. Mit Freude, Glück und Lachen, mit Wut, Trauer und Überforderung. Alles was frischgebackene Eltern eben so erleben und fühlen.
Wir haben, wie jede Familie eine Geschichte – zu unserer Geschichte gehört die Adoption. Sie ist ein Teil von uns allen und wir sprechen offen darüber. Wir denken an die leiblichen Eltern und sind jederzeit offen für ein Kennenlernen, wenn sie es wollen.
Wir sind froh, dass es genauso gekommen ist und dass genau das unser Weg sein soll. Denn nur so konnten wir zu der Familie werden, die wir nun sind. Manchmal fragen wir uns, ob noch mehr Kind den Weg zu uns finden werden. Wir sind schon aufgeregt und gespannt und freuen uns auf alles, was kommt.
Foto: Pixabay
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Bewegend.
Ein schöner & sehr bewegender Artikel, den ich sehr gut nachempfinden kann.
Mein drei Jahre älterer Bruder & ich sind selbst adoptiert, mit einem ähnlichen Hintergrund. unsere leibliche Mutter war noch sehr jung, hat sich aber – wie es hier schön beschrieben wird – FÜR meinen Bruder bzw. später auch mich entschieden, mit dem Wunsch, uns, durch eine Adoption, ein besseres Leben zu ermöglichen.
LG, Richard vom vatersohn.blog