Arm als Familie: Unser Leben mit Bürgergeld

Bürgergeld

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Ihr Lieben, „Das Bürgergeld sichert all denjenigen ein menschenwürdiges Existenzminimum, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen decken können.“ So steht es auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die meisten von euch werden das Bürgergeld noch unter dem Namen Hartz 4 kennen. Wir haben uns gefragt: Wie lebt man als Familie von Bürgergeld? Hier erzählen zwei Frauen:

Unser Leben mit dem Bürgergeld

Mein Name ist Judith, mein Mann und ich haben acht Kinder im Alter zwischen 19 und einem Jahr. Eine Tochter von uns hat Epilepsie, zwei Söhne ADHS, einer davon auch Autismus. Wir leben seit knapp zwei Jahren vom Bürgergeld. Die Schwangerschaft mit meinem letzten Kind war sehr kompliziert, mein Mann musste daher alle Termine der anderen Kinder übernehmen. Unser Alltag wird extrem durch die Therapie-Termine gesteuert, bei einigen davon müssen wir auch dabei sein.

Seit der Geburt der jüngsten Tochter geht es mir auch psychisch nicht gut, ich leide unter Flashbacks und Panikattacken, weil einiges schief gelaufen ist. Mein Mann muss mich sehr unterstützen und kann deshalb nicht arbeiten gehen. Ich selbst bin seit vielen Jahren nicht mehr berufstätig, weil ja immer ein Kind nach dem anderen kam.

Unsere beiden Söhne mit ADHS und Autismus haben Pflegegrad 2 und wir merken am Ende des Monats doch sehr, dass das Geld knapp wird (Anm. d. Red.in einer ersten Version dieses Textes hieß es, das Pflegegeld werde auf das Bürgergeld angerechnet, so hatte es die Interviewpartnerin an uns weitergegeben, nach euren Hinweisen dazu, ist es rein rechtlich aber nicht möglich, dass die Gelder miteinander verrechnet werden). Besonders, seit die Kosten für Nahrungsmittel und Energie so gestiegen sind. Einfach mal ein Eis essen gehen oder eine Pizza bestellen ist bei uns nie drin. Genau wie Urlaub, wir waren noch nie alle zusammen verreist.

Wenn die Kinder sich etwas Spezielles wünschen, legen wir dafür lange Geld beiseite. Die Kinder wissen, dass wir nicht viel Geld haben. Wir gehen damit auch offen um. Ich finde es besser, ehrlich zu ihnen zu sein. 

Wenn Geld keine Rolle spielen würde, würde ich für ein Wochenende alleine wegfahren. Seit 19 Jahren war ich nicht mehr alleine weg, bin eigentlich nie irgendwo alleine. Immer ist ein Kind dabei, selbst, wenn ich duschen gehe…

Für unsere Zukunft wünsche ich mir, dass alle Kinder eine Ausbildung machen können. Ich werde sie auf jeden Fall so gut es geht unterstützen.


Mein Name ist Ute, ich habe mich letzten Sommer von meinem Mann getrennt. Wir haben drei gemeinsame Kinder zwischen acht und zwei Jahren. Weil ich nicht wusste, wohin ich soll, bin ich wieder zu meinen Eltern gezogen. Wir wohnen dort im Keller auf rund 25 Quadratmetern, es gibt ein Duschbad und eine kleine Küchenzeile.

Natürlich können wir auch zu meinen Eltern nach oben, die Kinder spielen dort oft im Wohnzimmer, aber ich will auch nicht, dass wir die ganze Zeit dort sind. Ich habe aber natürlich Glück, weil ich nur die Nebenkosten zahlen muss und wir ein Dach über dem Kopf haben.

2022 war kein gutes Jahr, ich war viel krank und hatte das Erschöpfungssyndrom. Als ich wieder halbwegs gesund war, war mein Job weg, bis März bekam ich erstmal Arbeitslosengeld 1. Einige Zeit zuvor hatte ich Kindergeld beantragt (wir sind aus Österreich nach Deutschland gezogen).

Im April bekam ich den Bescheid für eine Nachzahlung des Kindergeldes von Juli 22 bis März 23. Die Nachzahlung fiel in den Zeitraum, in dem ich schon Bürgergeld (wie Hartz 4 seit Januar heißt) beantragt hatte. Da das Zuflussprinzip gilt und Kindergeld generell als Einkommen angerechnet wird, zählt das Kindergeld von Juli 22 bis März 23 als unser Einkommen von April 23 bis August 23. Dinge, die ich mit der Nachzahlung des Kindergeldes bezahlen wollte, kann ich nun doch nicht bezahlen.

Mich plagt die Unsicherheit, wie viel Geld wir zur Verfügung haben werden. Alles ist noch in der Schwebe und ich kann nichts richtig planen. Klar bemerken das die Kinder auch. Wenn sie ein Eis essen wollen, gehe ich nicht mit ihnen in die Eisdiele, sondern hole lieber eine Großpackung vom Discounter.

Ich versuche alles, dass meine Kinder nicht unter der Situation leiden. Deshalb habe ich auch die Leistungen für Bildung und Teilnahme beantragt – sie wurden zunächst bewilligt und dann für mein ältestes Kind wieder entzogen, weil wir nicht hilfsbedürftig seien. Vielleicht ist es das, was mich am meisten belastet: Dass wir von anderen abhängig sind. Davon, wie sie entscheiden….

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11 comments

  1. Ich wünsche beiden Familien alles Gute und hoffe, dass es für sie wieder bergauf geht. Gerade die Familie mit den 8 Kindern tut mir leid, da stelle ich es mir sehr schwierig vor, aus dem Bürgergeldbezug rauszukommen. Ich drücke ihr nichts desto trotz die Daumen, dass sie auch so einen Weg finden, viele gute Momente als Familie zu haben.
    Klar, auch meine erste Frage war: Mein Gott, warum denn noch ein 8. Kind, wenn es mit 7 schon nicht einfach war. Aber nun, jetzt ist es so und ich finde es richtig, dass die Familie unterstützt wird. Sonst gäbe es für die Kinder überhaupt keine Entwicklungschancen.
    Was andere Familien mit geringem Einkommen angeht, die so mühsam für alles sparen müssen: Hätten die nicht auch ein Anrecht auf Unterstützung durch Wohngeld und Kinderzuschlag? Sobald man so wenig verdient, dass es mit Bürgergeld mehr wäre, gibt es da auch staatliche Leistungen.

  2. In einem „reichen“ Land wie Deutschland, in dem es Arbeitnehmer gibt, die auf der Straße leben, weil sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden, bezeichnet sich eine 10-köpfige Familie als arm weil sie sich nicht mal so einen Besuch in der Eisdiele leisten kann? Willkommen in der Mittelschicht, die das ganze finanziert und nebenbei noch sämtliche eigene Kosten trägt. Der Wohlstand ist für die meisten in diesem Land vorbei, einfach mal so Pizza bestellen ist auch für ein gutes selbst erwirtschaftetes Haushaltseinkommen nicht mehr so leicht möglich.
    Anstatt den Kindern die Armut auch noch bewusst zu machen solltet ihr ihnen beibringen, dass die wertvollsten Dinge im Leben nicht in Geld zu messen sind. Familie, Liebe, Gemeinsame Zeit, Ausflüge in die Natur etc.

  3. Eine Familie mit 8 Kindern erhält ca 4000 Euro netto, plus Miete, wie viele Familien verdienen so viel? Ohne Gegenleistung! Und das Argument mit der Demographie und den zukünftigen Rentenzahlern: naja, vielleicht beziehen die Kinder später auch Bürgergeld, wer weiß das schon. Und was ich auch immer denke: Geringverdiener können das Geld für die Klassenfahrt mühsam zusammensparen, für 8 Kinder könnten sie es niemals bezahlen. Bei Beziehern von Bürgergeld zahlt alles das Amt. Gerecht?!

  4. Es gibt einige ‚durchschnittlichere Familien‘, die beispielsweise durch Erkrankung eines Elternteils oder durch erhöhten Pflegeaufwand eines Kindes im Bürgergeldbezug stecken… Dafür muss man keine acht Kinder haben! Indem Ihr solche Familien zeigt, werden eventuell gängige Vorurteile verstärkt und einige könnten denken: ‚Selbst schuld’… Das wäre sehr schade…

    Alles Gute für die beiden Familien!

  5. also ich arbeite in der Leistungsgewährung vom Bürgergeld. und mir platzt bei solchen Artikeln auch mittlerweile die Hutschnur.
    ich habe selbst zwei Kinder und habe mir mit meinem Mann vorher Gedanken gemacht, ob es finanziell möglich ist. aber 8 Kinder zu bekommen und dann zu sagen, oooh,
    die machen aber viel Arbeit, und welche sind eingeschränkt und brauchen Hilfe, ich kann ÜBERRASCHUNG nicht mehr arbeiten gehen und habe nicht?!?

    das Jobcenter zahlt die Miete, die Mehrbedarfe, die Schulbeihilfe (und WER gibt dafür 174 € im Jahr aus, zusammengesetzt aus 116 € im August und 58 € im Februar?, außer vielleicht bei der Einschulung), das Mittagessen im Kiga und in der Schule, JEDEN kleinen Ausflug, Klassenfahrt, etc etc. etc.
    ja, Unterhalt und Kindergeld werden angerechnet. und sicher, es ist auch bestimmt nicht einfach bei Dingen wie Eis essen oder Kino oft oder immer zurückzustecken, aber PAUSCHAL immer über Bürgergeld zu schimpfen oder zu klagen, bringt es auch nicht. und übrigens: die Krankenversicherung wird nebenbei auch noch gezahlt, das wird auch mal gerne vergessen.

    1. Danke Maja, dass Du das so klar stellst! So ist auch mein Eindruck. Was man nicht vergessen darf, ist ja, dass das Bürgergeld eine Existenzsicherung darstellt, für die man keine Gegenleistung erbringt. Dass es sicher sehr unangenehm ist, auf amtliche Entscheidungen angewiesen ist. Die Grenzen für so genanntes Schonvermögen, welches nicht für den Lebensunterhalt verbraucht werden muss, wurde auf 10 T€ angehoben. Also, wenn man vorübergehend das Bürgergeld beziehen muss, hat man das danach noch. Und ehrlich gesagt tun mir die Kinder der Familie mit den acht Kindern leid, denn so, wie es aussieht wird die Familie immer von Bezügen abhängig bleiben, so ist die Idee ja gar nicht.

  6. Das Pflegegeld der Pflegeversicherung darf NICHT als Einkommen angerechnet werden. Sollte das bei der Familie gemacht werden sollen sie sofort eine Überprüfung nach Paragraph 44 SGB X beantragen.

  7. Bei aller Liebe, aber bei acht geplanten Kindern, die teilweise wegen ADHS und Autismus extra Betreuung benötigen, braucht vermutlich jeder Bürgergeld, da an Arbeiten nicht mehr zu denken ist…
    Was ist das denn für ein Artikel? Da fühle ich mich als Arbeitnehmerin, die die Anzahl der Kinder genau abwägt und überlegt, wie sie alles unter einen Hut kriegen kann mit Job, Familie, Altersvorsorge etc. leicht veräppelt. Klar hätte ich auch gerne mehr als 2 Kinder gehabt, aber finanziell ist halt nicht mehr drin.
    Nach einer Trennung ist klar, dass man sich erstmal sortieren muss und für den Übergang abgesichert sein sollte. Aber sehenden Auges eine 10-Köpfige Familie in Armut zu gründen ist nicht sozial, für alle Beteiligten und Betroffenen die dann dafür draufzahlen.

    1. War auch mein Gedanke. In meiner Stadt sind die Mieten/Wohnkosten so hoch, da sind schon drei Kinder für die meisten ein Luxus.
      Grundsätzlich tut es mir für alle Kinder, die in großer finanzieller Enge aufwachsen, sehr leid.

    2. Anni
      Wie gut das Sie vorher komplett wussten/ ausschließen konnten dass Ihre Kinder keinerlei extra Pflegebedarf haben werden!? Die 10köpfige Familie mag ja arm sein, aber niemals so armselig wie Einige hier.

      1. Wenn ich nicht für meine Familie aufkommen kann, dann bekomme ich nicht so viele Kinder, alles andere ist nicht sozial. Ganz einfach.

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